"Die neuen Leute"

Junge Lyrik aus Berlin und der Nähe

Dass die Lyrik, allen Unkenrufen zum Trotz, keineswegs tot ist, muss nicht bewiesen werden, es ist augenfällig. Es ist aber gerade die junge Lyrik, die im deutschsprachigen Raum für volle Säle und für ein aufmerksames, in der Mehrzahl der Altersstufe der Vortragenden zugehöriges Publikum sorgt. In Berlin gibt es viele verschiedene Gruppierungen junger Lyrik, die über ein viel flexibleres Netzwerk verfügen als die traditionellen Spielstätten Literaturhaus, Buchhandlung, Theater etc. Man liest in Clubs, Bars, Kinos oder Industrieräumen, oft in Verbindung mit Musik aus der gleichen Generation. Die Einladungen werden per SMS verschickt oder mit stark vernetzten Rund-mails und natürlich per Telefon oder als persönliche Einladung ausgesprochen.
Die Veranstaltungen z.B. im Club Eschschloraque, im Bastard Club, in der Kalkscheune, im Friedrichshainer Weinsalon, dem Schokoladen, im Cafe Burger, der Restauration Walden etc. etc. haben verhältnismäßig hohe bis sehr hohe Besucherzahlen und durchwegs interessantes und unverkrampfteres Publikum. Bei den ausgewählten Autoren handelt es sich fast ausschließlich um Dichter/Dichterinnen, die nicht aus der performativen Lyrik kommen. Es sind Texte, die oft im Ton einen sehr trockenen Ausklang der Postmoderne erkennen lassen, immer wieder auch ein lakonisches Parlando einschlagend, häufig mit dem Pathos eines pointierten Abwinkens am Schluss (siehe Daniela Seels: „Das Verlangen einen Kirschkern gespuckt zu haben“). Die Struktur der Gedichte ist selbstbewusst und intelligent, durchmischt mit der Multilingualität der Pop-Kultur (den grooves, freezes und loops). Feine Zuspitzungen, in die das urbane Lebensgefühl der Hauptstadt einschießt, haben den intellektuellen overkill der späten 80er und frühen 90er überwunden. Sie kommen so gelassen daher, dass sich bildungsmelancholische Stimmungen als Träger für enigmatische Strukturen fast lautlos ansiedeln können (siehe Daniel Falb: ... neuer Fingersatz, aber die gleichen Fehler). Gleichzeitig bestückt man die in der Moderne geschnürten Pakete großstädtischer Getriebenheit (Björn Kuhligks Manhattan oder Ron Winklers Nullmedium) mit stimmungsmäßigen oder nomenklaturischen updates. Der Umgang mit Sex wirkt manchmal, als wäre das Thema den Dichtern wie glühende Kohlen zugeworfen, während sie sich lieber weiter mit der Technizität der Bewegungen von Aquarienfischen befasst hätten (dies gilt allerdings weniger für die Frauen). Delikatesse der Bilder und stilistische Schlankheit sind oft hervorstechend. Die Texte sind Ausgang für eine umfangreiche Anthologie, die demnächst bei Suhrkamp erscheinen wird. (Gerhard Falkner)


   

Daniel Falb
Geboren 1977 in Berlin, Literaturpreis Prenzlauer Berg 2001, Veröffentlichungen in Zeitschriften.

Alexander Gumz
Geboren 1974 in Berlin, Studium der Germanistik und Philosophie, er ist Redakteur der deutsch-polnischen Literaturzeitschrift „Wir“ und Sänger der Band „False Alarm“, Veröffentlichungen in verschiedenen Zeitschriften und Anthologien.

Björn Kuhligk
Geboren 1975 in Berlin, arbeitet als Buchhändler, 1997 Preisträger des 5. „open-mike“ der „literaturWERKstatt“ Berlin, 2. Preis des Allegra-Literaturwettbewerbs, 1998 Rheda-Wiedenbrücker Förderpreis, 1999 Poetensitz der Edition Passagen, 2000 Preisträger der Brecht-Tage am Berliner Brechthaus, 2001 Gewinner der Sparte Lyrik an der Literaturbörse des Steirischen Herbstes.
Veröffentlichungen:
– in Zeitschriften und Anthologien
– „Es gibt hier keine Küstenstraßen“, Gedichte, Lyrikedition 2000, München 2001
– „Am Ende kommen Touristen“, Gedichte, Berlin Verlag 2002

Monika Rinck
Geboren 1969 in Zweibrücken, lebt in Berlin. Studium der Religionswissenschaft, Geschichte und Vergleichenden Literaturwissenschaft in Bochum, Berlin und Yale. Neben Prosaarbeiten wurden ihre Gedichte in zahlreichen Zeitschriften veröffentlicht. 1. Preis im Wettbewerb junger Autoren Prenzlauer Berg „Lyrik“ 2001, im Sommer 2001 Teilnahme an der Plakataktion „Literaturhäuser bringen Poesie in die Stadt“.
Veröffentlichungen:
– „Neues von der Phasenfront. Gegenstand: unproduktive Phasen. Theorie-comic“, b_books Verlag, Berlin 1998
– „Begriffstudio 1996-2001“, edition sutstein, Berlin 2001

Tom Schulz
Geboren 1970, aufgewachsen in Ost-Berlin, lebt dort. Veröffentlichungen u.a. in „edit“, „Konzepte“, „Laufschrift“, „Zeitriss“ sowie Anthologien („Der wilde Osten“, Fischer, Frankfurt a.M. 2002).
Veröffentlichungen:
– „Städte, geräumt“, Gedichte, Edition Laufschrift, Fürth 1997
– „Trauer über Tunis“, Gedichte, Parasitenpresse, Köln 2001

Daniela Seel
Geboren 1974 in Frankfurt a.M., Lektorin, Redakteurin, Verlagskauffrau, lebt und arbeitet in Idstein und Berlin. Veröffentlichungen in Zeitschriften, u.a. in „Die Außenseite des Elementes“, „Intendenzen“, „lauter niemand“, und Anthologien, u.a. in der deutsch-polnischen „Wir“ und in „Nagelprobe“. Mitglied der Redaktion von KOOKread, Literaturzweig des Künstler-für-Künstler-Labels KOOK; Moderatorin im „lauter niemand literaturlabor“.

Rainer Stolz
Geboren 1966 in Hamburg, Ausbildung zum Verlagskaufmann, Studium der Soziologie, Psychologie und Philosophie, lebt seit 1995 als freier Autor in Berlin, er veröffentlichte in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien.

Jan Wagner
Geboren 1971 in Hamburg, lebt in Berlin. Lyriker, Übersetzer englischsprachiger Lyrik (Charles Simic, James Tate u.a.), nach einem Studium der Anglistik/Amerikanistik in Hamburg, Dublin und Berlin freier Rezensent u.a. für die „Frankfurter Rundschau“ und den „Tagesspiegel“, sowie Mitherausgeber der internationalen Literaturschachtel „Die Außenseite des Elements“. Förderpreis für literarische Übersetzungen der Stadt Hamburg (1999), Autorenstipendium des Berliner Senats (2000), Hamburger Förderpreis für Literatur (2001), Hermann Hesse Förderpreis (2001), Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds e.V. (2001/2002), Stipendiat im Künstlerhaus Edenkoben/Rheinland-Pfalz (2002).
Veröffentlichungen:
– in Anthologien und Zeitschriften, u.a. „neue deutsche literatur“, „Das Gedicht“, „edit“ und „Konzepte“
– „Probebohrung im Himmel“, Gedichte, Berlin Verlag 2001

Ron Winkler
Geboren 1973 in Jena, Studium der Germanistik und Geschichte, er lebt als freier Autor und Kritiker in Berlin, wo er die Literaturzeitschrift „intendenzen“ herausgibt, 1999 1. Preis im Allegra-Lyrikwettbewerb, 2000 Arbeitsstipendium des Landes Thüringen, 2001 Preisträger der Brecht-Tage am Berliner Brechthaus, 2002 Stipendium zum Klagenfurter Literaturkurs.
Veröffentlichungen:
– in Zeitschriften, Monografie zum lyrischen Gesamtwerk Durs Grünbeins
– „Morphosen“, edition sisyphos, Köln 2002

Uljana Wolf
Geboren 1979 in Berlin. Studiert Neuere deutsche Literatur, Anglistik und Kulturwissenschaft in Berlin. Redakteurin der Literaturabteilung des Labels „KOOKberlin-newyork“. Leitet Schreibwerkstätten im FEZ-Poetenclub, beim Verein Kreatives Schreiben e.V. und beim Autorenverband e.V.
Preise u.a. Thüringer Schreibwettbewerb „Weggehen – Wiederkommen“ 1997, 9. Literaturwettbewerb wannseeFORUM 2000, Sommer 2000, Autorenstipendium der Dubliner Autorenvereinigung „dubcit“.
Veröffentlichungen u.a. in: Internationale Literaturschachtel „Die Außenseite des Elementes“ 1998-2001; „intendenzen“, „Zeitschrift für Literatur“ 2001; „Lose Blätter“ 2001; „Das Magazin“ 08/2001; „Poesie-Agenda“ 2002.

Moderation: Gerhard Falkner

 

 

 

Termin:
– Samstag, 31. August 2002, 20.30, Orangerie

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