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Flucht und Vertreibung
Was bewahrt die Literatur von der Geschichte?
Gespräch mit Jirí Grusa, Reinhard Jirgl, Krzysztof Ruchniewicz, Karl Schlögel u.a.; Moderation: Wilfried F. Schoeller

Die jüngste Polenreise von Bundeskanzler Schröder hat die innenpolitische Debatte über die Heimatvertriebenen und ihr geplantes Zentrum in Berlin wieder angefacht. Das alte Gespenst der Geschichtsrevision wird mit der Preußischen Treuhand, einem Anwaltclub zur Durchsetzung von Eigentumsansprüchen von Vertriebenen und Flüchtlingen, wieder wach. Polen und Tschechen befürchten von ihren deutschen Nachbarn wieder mal das Schlimmste. In beiden Ländern nehmen die neuen Nationalisten mit ihrer unversöhnlichen Haltung erneut zu, obwohl doch gerade mit der Osterweiterung der EU Entspannung, Versöhnung und gegenseitiges Verständnis notwendiger sind denn je. Die deutschen Regierungen haben bisher einige entschiedene gesetzliche Aussagen zu Eigentumsansprüchen von Heimatvertriebenen vermissen lassen. Viele Funktionäre haben wegen rechtsradikaler Ausrichtung ihren Vertriebenenverbänden in der Vergangenheit eher geschadet als genutzt. Es ist zu befürchten, dass die Verständigung zwischen den Verbänden und den politischen Parteien nicht wächst, vielmehr in den lange geübten Stereotypen verharrt und über ein argwöhnisches Lagerdenken nicht hinauskommt.
Besonnenheit und Anteilnahme sind gleichermaßen gefordert – und zwar von einer Öffentlichkeit in allen drei Ländern. Vor allem anderen geht es um die Anerkennung von Erinnerung, um das kollektive Gedächtnis für Leid, Verfolgung, Not und Vertreibung von 12 bis 14 Millionen Deutschen aus dem Osten. Aber nicht nur für sie, sondern auch für die unsäglichen Leiden, die der Bevölkerung in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Ländern zuvor zugefügt worden sind. Erst wenn das ganze geschichtliche Feld in den Blick gerät, können wir unserer Gefühle sicher sein. Intensive Nachbarschaft über die inneren Grenzen hinweg können vor allem Schriftsteller pflegen. Die Literatur ist der Gedächtnisspeicher für die Ereignisse und kann mehr bewegen als es Politiker vermögen. Über die Tiefendimension der Wörter „Flucht und Vertreibung“ diskutieren mit Wilfried F. Schoeller: der Schriftsteller Jirí Grusa aus Prag, früher selbst Emigrant in Deutschland, dann Botschafter seines Landes und seit kurzem Präsident des internationalen P.E.N., der Berliner Historiker Karl Schlögel, einer der renommiertesten Experten für osteuropäische Geschichte, und der Berliner Schriftsteller Reinhard Jirgl, der in seinem Roman „Die Unvollendeten“ von den Schicksalen einer sudetendeutschen Familie im Nachkriegsdeutschland erzählt.
Wilfried F. Schoeller

So, 29.8., 19 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: 4,50 / erm. 3,– Euro