Uwe Tellkamp


   

In einer selbstironischen Anmerkung hat sich der Dichter und Prosaautor Tellkamp einmal als „Librettisten Wagners“ bezeichnet. Und tatsächlich hat nicht nur sein Prosatext „Der Schlaf in den Uhren“, mit dem er beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt triumphierte, etwas Opernhaftes. Was dieser Autor seit Jahren im Verborgenen an Romanen und Gedicht-Zyklen geschrieben hat, ist ein gewaltiges Kraftwerk an Geschichts- und Mythenbeschwörungen. Sein Debütroman „Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café“ (2000) erregte in seiner Heimatstadt einige Aufmerksamkeit, blieb aber sonst fast ohne jede Resonanz. Seither hat er zwei weitere Romane geschrieben und damit bis zum Klagenfurter Triumph einige bittere Enttäuschungen erlebt. Fast zwei Jahre lang ließ ihn der Lektor eines renommierten Verlagshauses zappeln, um dann doch von dem Projekt „Der Eisvogel“ Abstand zu nehmen. Nun wird der Roman im Frühjahr 2005 bei Rowohlt Berlin erscheinen.
Parallel zur Arbeit an seinen Romanen hat Tellkamp sein wohl gewaltigstes und faszinierendstes Projekt fortgeschrieben – das große mythische Weltgedicht „Der Nautilus“. Als Tellkamp in seinem selbst produzierten Filmporträt für den Klagenfurter Wettbewerb als Schiffsarzt auftrat, hielten das die abgebrühten Beobachter des Wettbewerbs für eine bloße Imponier-Maskerade. Aber die Rolle des Schiffsarztes ist für Uwe Tellkamp zu einem zutiefst existenziellen Maskenspiel geworden. In seinem von rauschhaften Visionen beflügelten Poem „Der Nautilus“ ist Tellkamp zu einer unendlichen Fahrt durch die „versunkenen städte und die versunkene zeit“ der deutschen Geschichte aufgebrochen. Im Zentrum dieses bislang nur in Zeitschriften teilveröffentlichten Projekts steht ein großes Argonauten- und Raumschiff, das seine Passagiere an den Klippen und Strudeln der deutschen Geschichte vorbeisteuert. Mittlerweile ist „Der Nautilus“ auf rund dreihundert Seiten angewachsen. Als mythische Fracht werden auf dieser unendlichen Fahrt Stoffe wie die Kyffhäuser-Saga, romantische „wunderhorn-töne“ und historische Urszenen zwischen Alexanderschlacht und Stalingrad mitgeführt. Das Nautische in Tellkamps Werk ist keineswegs nur eine poetische Imagination: Es ist gelebte Familienhistorie, die der Autor in ein mythisches Weltgedicht transformiert hat. Die Tellkamps kamen ursprünglich aus Hamburg, waren Seeleute, Elbelotsen, Goldsucher und Kaufleute.
Tellkamp selbst kam 1968 in Dresden zur Welt. Sein Militärdienst als Panzerkommandant bei der Nationalen Volksarmee der DDR endete in den Wende-Tagen 1989 mit einer Befehlsverweigerung, die ihm vorübergehend Gefängnishaft eintrug. Erst nach dem Zusammenbruch der DDR-Strukturen konnte er sein Medizinstudium wieder aufnehmen und später als Arzt in Dresden arbeiten. Obwohl Tellkamp seit 2001 in München seine chirurgische Facharztausbildung fortführt, kann man sich nur schwer vorstellen, dass dieser so schreibbesessene Autor wie weiland Doktor Benn eine Doppelexistenz als Dichter-Arzt zu führen vermag. Ganze Nachmittage verbringt er in der Alten Pinakothek in München, um sich von Albrecht Altdorfers großem Gemälde „Die Alexanderschlacht“ inspirieren zu lassen. Den panoramatischen Blick dieses Bildes, das unzählige Soldaten im Kampfgewühl zeigt, hat Uwe Tellkamp für sein Schreiben adoptiert – die Bilderfluten seines „Nautilus“ liefern ständig Großaufnahmen der Weltgeschichte. Die Sprache seines Poems wälzt sich wie ein bezwingender Malstrom vorwärts, immer weiter getrieben von den wortmächtigen Bildfindungen des Autors. Wenn Tellkamp – fast immer auswendig – in suggestiven rhythmischen Bögen sein Weltgedicht rezitiert, dann zeigen sich selbst hartnäckigste Skeptiker beeindruckt. Denn hier spricht, rezitiert, beschwört und atmet einer, der es mit den alten Meistern des langen Gedichts – auch mit den „Cantos“ von Ezra Pound – durchaus aufnehmen kann. (M.B.)
Auszeichnungen u.a.: Schulterschlag vom Oberarzt für Diagnose und rechtzeitige Therapie einer klinisch untypischen, im Laufe des Nachtdiensts lebensgefährlichen Meningitis, Brief von Günter Grass, „Der schreibt gar nicht wie ein Deutscher. Sondern wie ein Ungar!“ (ungarischer Literatursachverständiger), Dresdner Lyrikpreis, Ingeborg-Bachmann-Preis Klagenfurt (2004).

Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café“, Roman, Faber & Faber, Leipzig 2000
– „Der Eisvogel“, Roman, Rowohlt, Berlin, Frühjahr 2005

Hörspiel:
– „Aschestadt, Tauchsprache“, zus. mit Ulrike Janssen und Norbert Wehr, WDR 2003

So, 29.8., 16 Uhr, Schlossgarten