Malin Schwerdtfeger ist
zweiunddreißig Jahre alt und lebt in Berlin. Dass sie Judaistik
und Islamwissenschaften studierte, tut ihren Büchern ausgesprochen
gut. Auf den Erzählband „Leichte Mädchen“, folgte
der Roman „Café Saratoga“ und jetzt „Delphi“.
Immer treibt ein kosmopolitisches Flair ihre Geschichten an. Und wenn
es einen Ort auf der Welt gibt, wo sich neben dem „Nabel der Welt“
die Zelle der Wahrsagerei befindet, dann heißt er Delphi. Und selbstverständlich
wird die Pythia um Rat gefragt.
Erzählt wird aus der Perspektive der jüngsten von vier Geschwistern,
die vieles aus dem Kinderleben ihrer Geschwister nur von einem Drei-Minuten-Film
kennt, den die Mutter in Delphi Mitte der achtziger Jahre mit einer alten
Kamera in wackeligen Bilder festgehalten hat. Die Erzählerin wendet
einen Trick an: „Mich gibt es nicht“, behauptet sie bereits
im ersten Kapitel. „Mich gibt es nicht mehr … Ich wurde geboren,
um zu sterben, eines Abends am Meer“. Und weil die Erzählerin
tot ist, kann sie sich alle unmöglichen Blicke und unmöglichen
Anwesenheiten leisten, auch die bei der Geburt der älteren Schwester
Pepita. Pepita ist das Wunderkind und die eigentliche Hauptfigur des Romans,
die Dirigentin der Familie, in der neben den größeren Geschwistern
eine konfuse Mutter hin und her rennt. Der Vater, Archäologe, von
Athen nach Jerusalem versetzt, ist mit Ausgrabungen in Damaskus beschäftigt,
also für das normale Leben nicht zu gebrauchen. Die Mutter ist eine
wunderbare Chaotin, die ihre älteren Kinder sich selbst überlässt
und mit den zwei Kleinen täglich in den Laden eines orthodoxen Buchhändlers
geht, der alles über seinen Glauben weiß und gerne darüber
spricht. Die Mutter verwandelt sich in Schoschana, ist keine „Schickse“
mehr, sondern bald das Mitglied einer Sekte. Wie nebenbei entsteht das
Bild einer wundersamen Familie, der Sohn spielt Gitarre, Linda verliebt
sich in eine Marmorstatue von Antinoos, und dazwischen sitzt das vergessene
Kind, beschützt von Pepita, sieht und hört alles, die Feindschaften
zwischen Arabern und Juden, zwischen Vater und Mutter, den Heiratsantrag
des Buchhändlers Eliezer, das ordentliche Leben in Deutschland in
der Obhut von Großmutter Generosa, den Ausflug zur Deichlandschaft,
das Warten auf die Robben an Pepitas Hand. „Ich muß mich nicht
erinnern. Ich bin die Erinnerung“, verkündet die Erzählerin
im letzten Satz. Besser kann ein Schriftsteller nicht über seine
eigene Arbeit Auskunft geben. (V.A.)
Auszeichnungen u.a.: 1. Preis Kurzgeschichtenwettbewerb „Der Tagesspiegel“,
Berlin (1998), Autorenstipendium der Freien Hansestadt Bremen (1999),
Stipendium des Ingeborg Bachmann-Preises Klagenfurt (2000).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Leichte Mädchen“, Erzählungen, Kiepenheuer
& Witsch, Köln 2001
– „Café Saratoga“, Roman, Kiepenheuer & Witsch,
Köln 2001, Taschenbuch ebd. 2003
– „Delphi“, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln,
August 2004
So, 29.8., 15.30 Uhr, Schlossgarten
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