Abel Nema schaut bis zum
Schwindligwerden in den Himmel, und er kann auch sonst noch ein paar Dinge:
zehn Sprachen akzentfrei, Tag und Nacht arbeiten, blitzschnell übersetzen,
am Telefon schweigen. Außerdem ist er höflich, still, gutaussehend
und gilt als Genie. Aber ihm haftet der Geruch der Fremdheit an: die Gepflogenheiten
des Alltags sind ihm ein Rätsel, mit den allgemein üblichen
Regeln des Zusammenlebens steht er auf Kriegsfuß. Auf dem Weg zu
seiner Hochzeit verirrt sich Abel, auch zu seiner Scheidung trifft er
mit Verspätung ein. Vielleicht hängen seine Eigenarten mit dem
unerklärlichen Verschwinden seines Vaters oder dem Verlust seines
besten Freundes oder dem Bürgerkrieg zusammen, der sein Heimatland
zerstörte. Zum Glück gibt es immer noch Wunder, und Transsylvanien
ist dafür ein besonders geeignetes Terrain.
Die ungarische Wahlberlinerin Terézia Mora schlägt den Leser
schon auf der ersten Seite ihres neuen Romans „Alle Tage“
durch ihren unverwechselbaren Ton in den Bann: dichte Satzketten reihen
sich aneinander, überraschende Bilder fangen die Absonderlichkeiten
ihres Helden ein – ein funkelndes Sprachgewebe entsteht und packt
die Wirklichkeit am Schopf, was mindestens ebenso faszinierend ist, wie
die Geschichte.
Die Bachmann-Preisträgerin von 1999 ist nicht nur Schriftstellerin,
sondern auch Übersetzerin: sie hat Péter Esterházys
Familienepos „Harmonia Caelestis“ aus dem Ungarischen ins
Deutsche übertragen. Vielleicht kam ihr nach 800 Seiten der Gedanke,
diesen chronisch unterschätzten Berufsstand einmal zu porträtieren.
Nach ihrem mehrfach ausgezeichneten Erzählband „Seltsame Materie“
(1999) legt Mora, die 1971 in Ungarn geboren wurde und seit 1990 in Berlin
wohnt, jetzt ihren ersten Roman vor. (M.A.)
Auszeichnungen u.a.: Open-Mike-Literaturpreis (1997), Ingeborg-Bachmann-Preis
(1999), Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis (2000).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Seltsame Materie“, Erzählungen, Rowohlt, Reinbek
1999
– „Alle Tage“, Roman, Luchterhand, München, August
2004
Übersetzungen (Auswahl):
– Péter Esterházy: „Harmonia Caelestis“,
Roman, Berlin Verlag 2001
– István Örkény: „Minutennovellen“,
Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2002
– Zilahy, Péter: „Die letzte Fenstergiraffe. Ein Revolutions-Alphabet“,
Eichborn, Frankfurt a.M., September 2004
Theater (Auswahl):
– „Sowas in der Art. Instructions for Survival“, Auftragswerk
der Ruhr Triennale, Regie: Kay Voges, UA Stadthalle Mühlheim, 10.5.2003
So, 29.8., 16.30 Uhr, Schlossgarten
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