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Die Tochter schreibt das
Buch, das der Vater schreiben wollte, aber nicht schreiben konnte. Dagmar
Leupolds Aufzeichnungen über einen Vater, der Mathematiklehrer war
und sich zu Tode rauchte, ist ein Roman der großen Fragen. Fragen
nach den Beschädigungen, die der Krieg in diesem äußerlich
unnahbaren, gutaussehenden, ehrgeizigen, korrekten „Heimatvertriebenen“
hinterlassen hat. Fragen, wie er zu seinen Überzeugungen kommen konnte
und zu der Person wurde, unter der er selbst am meisten litt. Waren es
die Bücher Gottfried Benns, Ernst Jüngers und Thomas Manns,
die ihn prägten, und welche Kränkungen fügte dem stolzen
Bridgespieler das Flüchtlingsdasein zu? War sein Selbst- und Sendungsbewusstsein
beleidigt?
Dagmar Leupold, 1955 in Oberlahnstein geboren, die nach einer Gedichtauswahl
1992 mit dem Roman „Edmond: Geschichte einer Sehnsucht“ große
Anerkennung erfuhr und vor zwei Jahren den Liebesroman „Eden Plaza“
vorlegte, beschreibt in „Nach den Kriegen“ die Geschichte
einer von der Figur des Vaters und dessen Aufstiegswillen dominierten
Kindheit. Von der Mietwohnung zum Führerschein und eigenen Auto,
Aufbruch zu den ersten Familienferien am Wörthersee, der erste Fernseher,
der den Vater als Alleinunterhalter ablöste und das eigene Haus,
endlich in Mainz. Dagmar Leupold beschreibt den Schuhkauf als Höhepunkt
des Jahres und den blauen Dunst, in den der Vater eingeschlossen war.
Der atmosphärisch dichten Darstellung einer nicht untypischen deutschen
Familie folgen Mutmaßungen über den „unbekannten Vater“,
den Mann, der „später mein Vater wurde“: Als Schüler
in der deutschen Enklave Bielitz unweit Krakaus, die 1918 polnisch wurde,
als Student, als Soldat, der 1941 in die NSDAP eingetreten ist, Gefreiter
wurde, bei der Nachrichten Ersatz Abteilung in Pasewalk eingesetzt war
und Zeit hat, ein Kriegstagebuch zu führen. Darin verflucht er die
„schönen Täuschungen“, stellt Fragen nach der „Gesinnungsethik“,
nach der Mathematik und Philosophie, die ihn vor dem realen Krieg schützen.
Dagmar Leupold stellt den Vater in eine Reihe mit dessen selbstgewählten
Paten Gottfried Benn und Ernst Jünger. Das Buch versucht eine Antwort
für die Generation der Kriegsteilnehmer zu geben, für die Generation,
die in den kommenden Jahren ausgestorben sein wird. Sie stellt die Fragen,
die jeden Sohn und jede Tochter eines Wehrmachtssoldaten und NSDAP-Mitglieds
umtreiben, und es gelingt ihr ein Bild, nein ein Nachkriegsdeutschlands-Panorama,
das immer noch unser (mentales) Leben beeinflusst, denn jeder Vater hinterlässt
emotionale Spuren. „Nach den Kriegen“ ist ein ernstes und
geschichtsträchtiges Buch. Dagmar Leupold wollte schon als Kind Schriftstellerin
werden, das lag sozusagen in der Familie. Das war ein guter Entschluss.
(V.A.)
Auszeichnungen u.a.: Aspekte-Literaturpreis (1992), Bayerischer Literaturförderpreis
(1994), Mont Blanc-Preis, Martha-Saalfeld-Preis, Förderpreis der
Bayerischen Akademie der Schönen Künste (1995), Stipendium des
Dt. Literaturfonds e.V. (1995/96), Kieler Liliencron-Dozentur (2002).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Wie Treibholz“, Gedichte, Pfaffenweiler Presse, Pfaffenweiler
1988
– „Edmond. Geschichte einer Sehnsucht“, Roman, S. Fischer,
Frankfurt a.M. 1992, C.H. Beck, München 2002
– „Die Lust der Frauen auf Seite 13“, Gedichte, S. Fischer,
Frankfurt a.M. 1994
– „Textlandschaften“, in: Uwe Wittstock (Hrsg.): „Roman
oder Leben. Postmoderne in der deutschen Literatur“, Reclam, Leipzig
1994
– „Federgewicht“, Roman, S. Fischer, Frankfurt a.M.
1995
– „Destillate“, Kurzprosa, S. Fischer, Frankfurt a.M.
1996
– „Ende der Saison“, Roman, S. Fischer, Frankfurt a.M.
1999, Taschenbuch ebd. 2001
– „Byrons Feldbett“, Gedichte, S. Fischer, Frankfurt
a.M. 2001
– „9.11. – 911. Bilder des neuen Jahrhunderts“,
zus. mit Kerstin Hensel und Marica Bodrozic, Wallstein, Göttingen
2002
– „Eden Plaza“, Roman, C.H. Beck, München 2002,
Taschenbuch dtv, München 2004
– „Edmond. Geschichte einer Sehnsucht“, Roman, C.H.
Beck, München 2002
– „Nach den Kriegen. Roman eines Lebens“, C.H. Beck,
München 2004
Übersetzungen:
– Daniele del Giudice: „Das Land vom Meer aus gesehen“,
Roman, Hanser, München/Wien 1986
– Giorgio Agamben: „Idee der Prosa“, Hanser, München/Wien
1987, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2003
– Cesare Pavese: „Sämtliche Gedichte“, zus. mit
Michael Krüger und Urs Oberlin, Claassen, Düsseldorf 1988, Taschenbuch
Fischer, Frankfurt a.M. 1991
So, 29.8., 14 Uhr, Schlossgarten
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