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„Das Romantische“,
hat der Dichter Norbert Hummelt einmal gesagt, „ist eine Weise,
die Dinge anzusehen als könnten sie unseren Blick erwidern.“
Kann man im Versuch einer poetischen Rückgewinnung der Tradition
aber so weit gehen, wie dieser 1962 in Neuss geborene und bei Köln
lebende Autor, der sich dem Sehnsuchtston der Romantik so vorbehaltlos-identifikatorisch
anvertraut hat? Hummelt hat ja ursprünglich als experimentier- und
parodierfreudiger Autor im Umfeld der ironischen Sprachzertrümmerer
Thomas Kling und Marcel Beyer begonnen. In seinem frühen Band mit
dem programmatischen Titel „knackige codes“(1993) mixte und
montierte er „Pick-Ups“ aus den Sprachfetzen des Kommunikationsalltags,
und formulierte lyrisch-ironische Gegenreden zu den Versen der großen
Koryphäen Benn, George oder Eichendorff.
Aber schon in seinem zweiten Band „singtrieb“ (1997) vollzog
Hummelt eine poetische Selbstkorrektur und besann sich auf die alten Suggestionstechniken
der Dichtung, auf den Anklangszauber in „kreuzreim“, „bukolischem
sonett“ und „arkadischem abgesang“. Von diesem so mutigen
wie riskanten Projekt, den Habitus des romantischen Sängers für
die Gegenwart zu retten, hat Hummelt auch in seinem neuesten Band „Stille
Quellen“ nicht abgelassen. Da wird in einem Gedicht „das glück
bei eichendorff“ besungen, an anderer Stelle wird ein programmatisches
Bekenntnis zum Dichter des Heimwehs abgelegt: „ein vers von eichendorff
hat mich noch nie betrogen“. Auch mit dem „Mönch am Meer“
des romantischen Malers Caspar David Friedrich hat Hummelt die poetische
Auseinandersetzung gesucht. Dabei ist dem Autor durchaus bewusst, dass
sich mittlerweile so viele Trivialmythen an die Bilder eines Caspar David
Friedrich angelagert haben, als dass sie noch ungebrochen emphatisch heraufbeschworen
werden könnten. So kollidiert nun in den jüngsten Gedichten
von Norbert Hummelt das Erhaben-Romantische mit dem Profan-Alltäglichen.
Das „Glück der nahen Dinge“, das so typisch ist für
romantische Dichtung, ist bei Hummelt stets doppelwertig und ambivalent.
Immer wieder sind es unspektakuläre Details und einfache Alltagsgegenstände,
die sich dem romantisch Schönen und der hehren Kunsterfahrung in
den Weg stellen. In einem Essay hat Hummelt darauf hingewiesen, dass auch
im Titel seines Gedichtbuchs, der ein bisschen sentimental tönt,
diese profane Dimension mitschwingt. Denn der Titel „Stille Quellen“
meint nicht nur die Orte der Ursprünglichkeit und der Kindheit, an
denen sich die Erstbegegnungen mit den Dingen vollziehen. Es geht auch
ganz wörtlich um Plätze, an denen Wasser oder Öl aus der
Erde tritt, und nicht zuletzt auch um den „Quelle“-Katalog,
das verheißungsvolle Wunderwerk aus Kindertagen. Norbert Hummelt
hat in „Stille Quellen“ sehr bewegende Gedichte geschrieben,
die sich mit melancholischer Hellsicht in eine Welt der Vergänglichkeiten
und verlorenen Paradiese versenken. (M.B.)
Auszeichnungen u.a.: Literatur-Förderpreis des Landes NRW (1995),
Rolf-Dieter-Birkmann-Preis (1996), Autorenförderprogramm der Stiftung
Niedersachsen (1997), Mondseer Lyrikpreis (1998), Arbeitsstipendium des
Deutschen Literaturfonds (1999), Stipendium der Hermann-Lenz-Stiftung
(2000), New-York-Stipendium des Literaturfonds (2001/02).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „oh an-atomie“, Gedichte, Sotie-Verlag, Köln
1987
– „irre duzibel“, Gedichte, Köln 1987
– „irre parabel“, Gedichte, Köln 1990
– „Weiter im Text. 10 Jahre Kölner Autorenwerkstatt 1980–1990“,
Hrsg., Janus, Köln 1991
– „pick-ups“, Gedichte, Siegen 1992
– „knackige codes“, Gedichte, edition galrev, Berlin
1993
– „singtrieb“, Gedichte mit CD, Urs Engeler Editor,
Basel/Weil am Rhein 1997
– „Zeichen im Schnee“, Gedichte, Luchterhand, München
2001
– „Stille Quellen“, Gedichte, Luchterhand, München
2004
Übersetzungen (Auswahl):
– Inger Christensen: „Das Schmetterlingstal. Ein Requiem“,
a.d. Dänischen, in: Schreibheft, Nr. 52, Rigodon, Essen 1999
– T. S. Eliot: „Four Quartets“, a.d. Englischen, in:
Zwischen den Zeilen, Nr. 16, Urs Engeler Editor, Basel/Weil am Rhein 2003
Sa, 28.8., 18.30 Uhr, Schlossgarten
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