Literatur aktuell


   

Lesungen und Gespräche

Die Revue der Neuerscheinungen

Selten zuvor gab es so viele Aufsehen erregende deutsche Neuerscheinungen wie in diesem literarischen Sommer – selten zuvor war es von daher so schwierig und zugleich so spannend, eine Auswahl zu treffen wie für das Poetenfest 2003. Würde die Liste mit den Autorinnen und Autoren, die nicht berücksichtigt wurden, veröffentlicht – man könnte parallel ein zweites Poetenfest auf hohem Niveau veranstalten ...
Wie in den vergangenen Jahren geht es auch in diesem Jahr in „Literatur aktuell“ darum, nicht nur bekannte Bestsellerautorinnen und Bestsellerautoren vorzustellen, sondern auch Unbekanntere. Viele Lesepremieren sind dabei.
Zugegeben – in diesem Jahr ist die Zahl der Autoren, die mit ihren Büchern sowohl von der Literaturkritik als auch von den Lesern geschätzt, wenn nicht sogar geliebt werden, außergewöhnlich hoch. Es scheint fast, als hätten sich die Verlage die Aufgabe gestellt, den nicht durchgehend glücklichen und manchmal auch etwas eintönigen Alltag der Deutschen mit spannenden Geschichten, schaurigen Märchen, aufregenden Krimis, poetischen Liebesromanen, subtilen Novellen, sprachmächtigen Abenteuern oder historischen Recherchen zu erhellen. Unser Rendezvous mit der aktuellen deutschen Literatur offenbart einen Reigen an Storys, Szenen und Skandalen, Geschichten, die uns nicht kalt lassen, die uns aufwühlen, die uns beschäftigen, über die Tage des Erlanger Poetenfests hinaus.
Mit Ingrid Noll und Jakob Arjouni sind zum ersten Mal nicht nur zwei der erfolgreichsten und unterhaltsamsten deutschen Krimiautoren zu Gast, sondern auch zwei Erzähler, die mit ihren realistisch erzählten – sehr unterschiedlichen – Geschichten immer auch den deutschen Alltag im Visier haben. Feridun Zaimoglu ist deutscher Schriftsteller türkischer Herkunft, der ohne große Sentimentalität, aber mit außerordentlichem sprachlichen Furor von türkischen Minderheiten in Deutschland erzählt – in seinem neuen Werk allerdings auch weit darüber hinausgeht.
Auch wenn sein neuer Roman auf Kreta spielt – bei Klaus Modick wird ein weitgehend unbekanntes Kapitel deutscher Geschichte erzählt, in dem es um Besatzung, Krieg und Widerstand geht. Eine zeitgeschichtlich höchst relevante, literarisch dabei sehr unterhaltsame Recherche nach dem verlorenen Deutschland der Wirtschaftswunderzeit bietet die Literatur von Peter Kurzeck. Von einer ganz anderen Generationserfahrung mit deutscher Gegenwart darf man beim jüngsten Gast des Erlanger Poetenfests, dem 20-jährigen Schriftsteller Benjamin Lebert, ausgehen. Sein neuer Roman heißt „Der Vogel ist ein Rabe“. Mit „Crazy“ – in 33 Sprachen übersetzt – feierte der in Freiburg lebende Autor einen spektakulären Bestsellererfolg. Julia Franck, die mit ihren Büchern „Liebediener“ und „Bauchlandung“ ihrerseits Bestsellerruhm genießt, liest in Erlangen zum ersten Mal aus ihrem neuen Roman „Lagerfeuer“ – eine abenteuerliche Ost-West-Fluchtgeschichte, die in einem Notaufnahmelager spielt. Kerstin Hensel, einst als größtes Talent der jungen DDR-Literatur betrachtet, kommt mit ihrem Roman „Im Spinnhaus“. Darin geben sich die skurrilsten Figuren die Klinke in die Hand. Katharina Hacker erzählt in ihrem zwischen Vergangenheit und Gegenwart faszinierend changierenden Roman „Eine Art Liebe“. Schauplätze sind Jerusalem und Berlin.
Was wäre „Literatur aktuell“ ohne große Comebacks! Sieben Jahre nach seinem letzten Roman legt der 74-jährige Arzt, Psychiater und Schriftsteller Ernst Augustin „Die Schule der Nackten“ vor – ein „leidenschaftlich grimmiges Epos voller Heiterkeit“. Ludwig Fels erzählt in „Krums Versuchung“ von einem Schlagertexter, der zusehen muss, wie es seine Frau mit einem „Penner“ im Zelt treibt. Die Österreicherin Margit Schreiner liest zum ersten Mal vor großem Publikum aus ihrem intensiven, literarisch zutiefst beeindruckenden Mutter-Tochter-Roman „Heißt lieben“. Eine Mutter, die ihr Kind tötet, steht im Zentrum des zweiten Romans von Michael Kumpfmüller, der schon mit seinem überaus erfolgreichen Debüt „Hampels Fluchten“ im Jahr 2000 mit seiner Lesung in Erlangen für Furore sorgte.
Zu den im Vorfeld des Erlanger Poetenfests intensiv in den deutschen Feuilletons diskutierten Neuerscheinungen gehört „Das Handwerk des Tötens“ des österreichischen Schriftstellers Norbert Gstrein. Schauplatz seines vom dokumentarisch belegten Tod eines Journalisten ausgehenden Romans ist der Krieg im Kosovo. Zwei Ingeborg-Bachmann-Preisträger lesen: Der im Jahr 2001 mit „Muttersterben“ ausgezeichnete Dichter Michael Lentz legt mit „Liebeserklärung“ einen sprachlich virtuosen ersten Roman vor. Und die aktuelle Bachmann-Preisträgerin Inka Parei wird sowohl aus ihrem – noch titellosen – ausgezeichneten Roman lesen als auch über ihr literarisches Debüt „Die Schattenboxerin“ (1999) Auskunft geben.
Aus dem Angebot vielversprechender Debütanten haben wir in diesem Jahr eine deutsche Autorin und einen Schweizer Schriftsteller ausgesucht. Im ersten Buch der Fernsehredakteurin Martina Zöllner geschieht genau das, was der Titel ihres Romans nicht verspricht: „Bleibtreu“ – die Erfahrung einer Frau auf dem Weg in die Geliebtenexistenz. Mit großem Tempo und bösem Witz erzählt Rolf Dobelli die „Midlife Story“ eines 35-jährigen Marketingchefs, ein neuer Max Frisch?
Packende Lesungen auf dem Hauptpodium, intensive Autorengespräche auf den beiden Nebenpodien, Entdeckungen, und Wiederbegegnungen! Zwei lange Nachmittage feiern „Literatur aktuell“.
Hajo Steinert

 

 

 

Termin:
Sa und So, 30. und 31.8.2003, 14-19 Uhr, Schlossgarten

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