Matthias Politycki


   

In einer polemischen Privatstatistik hat Matthias Politycki vor einigen Jahren die drei Hauptsünden der deutschen Gegenwartslyrik, vor allem aber die unverzeihlichen Fehler seiner Kollegen aufgezählt. Als da wären: a) Orakeln, b) Plappern, c) Moraltrompeten.
Ausgehend von solchen Prämissen fürchtet Politycki um die Existenz des deutschen Gedichts, wenn er in lyrischen Texten von Kollegen erlesenen Metaphernprunk aus der ihm verhassten „Linie Celan-Huchel-Eich-Bachmann“ aufsteigen sieht. Bei den orakelnden Dichtern wisse man eben nie, ob nun „gehuchelt“ oder geheuchelt werde. Den Plapperern dagegen fehle jede Fähigkeit zum dichterischen Handwerk. Daher fordert der streitlustige Poet und Polemiker ein „Zwangsjahr“ für werdende Lyriker, in dem nur in traditionellen, festen Formen gedichtet werden darf. Wo der Romancier Politycki mal eben einen vergnüglichen „Weiberroman“ (1997) hinwirft, um die Schmerzen, Zipperlein und Neurosen seiner Generation zu erzählen, da ist es dem Lyriker Politycki um die Fortschreibung und Aktualisierung jener formstrengen „Sprachmusik“ und „Artistik“ zu tun, die er von Nietzsche und seinen expressionistischen Schülern adoptieren will: „Form ist Wollust!“ (Ernst Stadler) Politycki, 1955 in Karlsruhe geboren, veröffentlichte bereits 1988 seinen ersten Gedichtband „Im Schatten der Schrift hier“, dem 1995 der Band mit dem sehr lebensweltlich zugewandten Titel „Jenseits von Wurst und Käse“ folgte. Es ist ein ironisch-entpathetisierender, entmythologisierender, auf die Tücken und Fallen des Alltags zielender Ton, eine im Gewöhnlichen die poetischen Vergnügungen auffindende Schreibweise, die den Lyriker Politycki auszeichnet. Sein poetischer Ort ist eben nicht das Menetekel und die Schrift an der Wand, sondern die Direktheit der Aussage an höchst profanen Stätten. Dort entdeckt er beispielsweise die „Klofrau“, die „das Ende der Sanftmut“ verkündet: „He, ihr Schlappschwänze da drin, hört alle her:/ihr brunzenden Brezelbäcker und sonstigen Helden des Hosenstalls/ die ihr in schönster Regelmäßigkit eure Kippen auf meinen Pinkelsieben verteilt/ und so breitbeinig euch dann gebärdet,/ dass euren Strahl ihr ins Pissbecken nicht mehr lenken könnt! ...“ In seiner jüngsten Gedichtsammlung „Ratschlag zum Verzehr der Seidenraupe“ führt er erneut sein Vergnügen an höchst gewöhnlichen poetischen Gegenständen vor. Der Weltreisende und Weltbürger schrumpft hier ein ums andere Mal zur tragikomischen Figur. (M.B.)
Auszeichnungen u.a.: Civitas-Literaturpreis (1987), Bayerischer Staatsförderpreis für Literatur (1988), Stipendium Villa Waldberta, Stadt München (1990), Stipendium Stuttgarter Schriftstellerhaus (1991), Ledig House International Writer’s Colony, New York (2001).

  Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Aus Fälle/Zerlegung des Regenbogens. Ein Entwicklungsroman“, Weismann, München 1987
– „Im Schatten der Schrift hier“, Zweiundzwanzig Gedichte, Weismann, München 1988
– „Sonnenbaden in Sibirien. Dreiseitige Geschichten“, Verlag Ulrich Keicher, Warmbronn 1991
– „Hundert notwendige Gedichte. Und ein überflüssiges“, Hrsg., Luchterhand, Hamburg/Zürich 1992
– „Taifun über Kyôto“, Roman, Luchterhand, Hamburg/Zürich 1993
– „Jenseits von Wurst und Käse“, 44 Gedichte, Luchterhand, München 1995
– „Der böse Einfluß der Bifi-Wurst. Ein End- und ein Nachspiel“, Verlag Ulrich Keicher, Warmbronn 1996
– „Weiberroman“, Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Luchterhand, München 1997, Taschenbuch, Rowohlt, Reinbek 1999
– „Die Farbe der Vokale. Von der Literatur, den 78ern und dem Gequake satter Frösche“, Essays, Luchterhand, München 1998
– „Ein Mann von vierzig Jahren“, Roman, Luchterhand, München 2000, Taschenbuch Rowohlt, Reinbek 2001
– „Das Schweigen am anderen Ende des Rüssels“, Erzählungen, Hoffmann & Campe, Hamburg 2001, Taschenbuch Goldmann, München 2003
– „Ratschlag zum Verzehr der Seidenraupe“, 66 Gedichte, Hoffmann & Campe, Hamburg, August 2003
Theater:
– „Die Frau mit dem Schatten“, Minimusikalkomödie (Libretto), UA Marstalltheater, Bayerische Staatsoper München, 24.6.1994
Hörbücher (Auswahl):
– „Ein Mann von vierzig Jahren“, Hörbuch, 2 CDs, DeutschlandRadio, Hamburg 2000
– „Das Schweigen am andern Ende des Rüssels“, Erzählungen, 3 CDs, Hoffmann & Campe, Hamburg 2001
 

Termin:
– Sa, 30.8., 18.30 Uhr, Schlossgarten

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