Ernst Augustin hat eine abwechslungsreiche
Biografie. 1927 in Hirschberg im Riesengebirge geboren, besuchte er in
Schwerin das Gymnasium, studierte in Rostock und Ost-Berlin, promovierte
über das „elementare Zeichnen bei Schizophrenen“, arbeitete
an der Ost-Berliner Charité und in Afghanistan, wendete der DDR
den Rücken zu, kam 1958 nach München, betätigte sich als
psychiatrischer Gutachter und begann über Themen des seelischen Zwischenbereichs
Bücher zu schreiben. 1996 machte Ernst Augustin mit dem Roman „Gutes
Geld“ Furore. Augustins 1995 erschienener und jetzt neu aufgelegter
Roman „Mahmud der Bastard“ spielt in Afghanistan im Jahr 1000.
Auch der Ich-Erzähler seines neuen Romans „Die Schule der Nackten“
kennt sich in den vorderasiatischen Frühkulturen aus. Er lebt in
München, ja, man kann sagen, der fünfzigjährige Historiker
mit erstaunlich geringen beruflichen Verpflichtungen lebt das hedonistische
Leben des Urmünchners, der den Sommer dazu nutzt, sich im Freibad
das Fell zu bräunen und den Frauen nachzuschauen. Die Nacktzone im
Jakobi-Bad ist in Augustins Roman ein Labor. Vom Handtuch auf der Liegewiese
macht der Ich-Erzähler nach der Überwindung erster Schamgefühle
Exkursionen mit den Augen. Er betrachtet mit kühlem, fachlichem Blick
die Geschlechtsteile von Mann und Frau, ihre Verschiedenheit und ihre
Reaktionen. Es interessiert ihn sehr, ob der Schwanz wie ein Kaffeekännchen,
Dörrobst oder wie ein Stock aussieht. Die Männer sind die Konkurrenten,
sie werden fachmännisch und manchmal abschätzig taxiert. Jede
Frau, auch wenn kein Wort mit ihr gesprochen wird, stellt eine potenzielle
Eroberung dar. Aber, sagt der sonnenanbetende Professor: „Ich bin
kein Mann, der nackten Mädchen nachlauert.“ Bis ein Mädchen,
in dem der Beobachter eine cyprische Aphrodite erkennt, ihren Oberkörper
und ihr schönes Becken aus dem Pool schwingt. Aber Juliane ist keine
cyprische Aphrodite, sondern Juliane aus Siegen. Und es beginnt eine der
sonderbarsten Romanzen des Herbstes. Der Professor erkennt archaische
Landschaften und Lüste, Juliane sagt Alex zu ihm, nimmt ihn in ihr
Appartement, und er landet in einem Tantra-Zentrum. Alex lässt sich
von Krishnu und Yoko kaum abschrecken, seine Neugier ist geweckt. Aber
er ist zu alt zum Glauben. Er stört die Andacht der „Dynamischen
Meditations-Woche“ und siegt als Wissenschaftler, der nach ausgiebigen
Recherchen einen Sonnentempel für die eigene Wohnung erfindet. Es
wird warm, schwül, heiß und schön, und die beiden Nackten
haben ihre Lektion gelernt. (V.A.)
Mitgliedschaft: Bayerische Akademie der Schönen Künste, Deutsche
Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt, Gruppe 47.
Auszeichnungen u.a.: Hermann-Hesse-Preis (1962), Kleist-Preis (1989),
Tukan-Preis der Stadt München (1996), Literaturpreis der Landeshauptstadt
München (1999).
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