Die Revue der Neuerscheinungen


   

„Lieben und Katastrophen“

Liebe und Sehnsucht, Alltag, Ekstase und Exzess, Erinnerung und Gegenwärtigkeit – die Neuerscheinungen dieses Jahres verbinden Realitätsnotate mit ebenso fesselnden wie berührenden Schilderungen von Gefühlen. Gezeigt wird einmal mehr, dass Literatur unterhaltsam sein kann und „Unterhaltungsliteratur“ intelligent geschrieben.
Die Unterscheidung oder auch Übereinstimmung zwischen „populärer und anspruchsvoller Literatur, zwischen Unterhaltung und Ernst, zwischen schöner und erhabener oder, um es in alter Schiller’scher Terminologie zu sagen: zwischen naiver und sentimentalischer Dichtung“ gerät sogar zu einem der großen Themen des diesjährigen Poetenfestes. Erstaunlich bei den Schriftstellerinnen und Schriftstellern von „Literatur aktuell“ ist die Wiederkehr der Gefühle, der großen wie der kleineren, emphatisch erzählt oder humorvoll gebrochen. Daneben sprachgenaue Beschreibungen einer Wirklichkeit, die in ihren medialen Aufgüssen und Zweiterfahrungen umkreist, seziert und reflektiert wird. Thommie Bayer, der sich als bravouröser Erzähler zurückmeldet, berichtet in seinem Roman „Das Aquarium“ von einer Tour de Force der Leidenschaft. Dorothea Dieckmann gibt in „Damen und Herren“ ein fesselndes Porträt jener Generation, die noch an Marx glaubte und die Rolling Stones hörte. Liane Dirks erzählt in „Vier Arten meinen Vater zu beerdigen“ ebenso einfühlsam wie distanziert von der Geschichte eines leidenschaftlichen und getriebenen Mannes. Peter Glaser, der Grazer in Berlin, bleibt sich treu und spürt in dem Text „Geschichte von Nichts“, mit dem er den diesjährigen Bachmann-Wettbewerb gewann, den Bildlichkeiten zeitgenössischer Erfahrungen nach. Erich Hackl dokumentiert in „Die Hochzeit von Auschwitz“ einen zwar unmöglichen, doch tatsächlichen Fall. Ganz unaufdringlich stellt Judith Kuckart in ihrem „Road-Movie“ von Deutschland nach Polen, „Lenas Liebe“, die großen Sinnfragen, auch die nach der Liebe. Dagmar Leupold stellt vielfach verschlungen und intelligent in „Eden Plaza“ Liebe und Ehe, Alltag und Ekstase einander gegenüber. Den Prozess des Alterns verknüpft Monika Maron in ihrem Roman „Endmoränen“ aufs Engste und doch fast unmerklich mit den politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen. Klaus Modick liefert den Roman zur Jahreszeit: „September Song“ – Liebes- und Familiengeschichte, Tragödie und Farce zugleich. Ulrich Peltzer und Kathrin Röggla reflektieren die Wirklichkeit des 11. Septembers und die Frage nach der Authentizität in ihren so unterschiedlichen Texten und Ansätzen. Eine Liebesgeschichte mit scheinbar archaischen Zügen zwischen Bergbauernwelt und der Großstadt Mailand entfaltet Bernd Schroeder in „Madonnina“ leise und poetisch. „Sehnsucht“, der lang erwartete Roman des Büchner-Preisträgers Arnold Stadler berichtet im ureigenen Stadler-Ton von Erinnerung an und Sehnsucht nach Liebe. Hans-Ulrich Treichel setzt die Liebe, über die er anzüglich, komisch und leicht erzählt, gleich in den Titel: „Der irdische Amor“ erzählt von einem Ostwestfalen, der die Liebe in Sardinien findet. Juli Zeh schließlich, der Shooting-Star der letzten Saison, nähert sich in ihrem Reisebericht „Die Stille ist ein Geräusch“, dem ehemaligen Kriegsgebiet Bosnien, vorsichtig, fragend und offen.

 

 

 

Termin:
Samstag und Sonntag, 31. August und 1. September 2002, 14–19 Uhr, Schlossgarten

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