„Beste deutsche Erzähler 2002“


   

Martin Lüdke im Gespräch mit Verena Auffermann

Es gibt, das mag überraschen, auch unbestreitbar gute amerikanische Traditionen. So, zum Beispiel, seit 1915 schon, eine jährlich erscheinende Sammlung der besten amerikanischen Kurzgeschichten („Best American Short Stories“).
Die Short Story stammt aus Amerika. Deshalb verwundert es nicht, dass wir, die Deutschen, sonst bei Übernahmen vom großen Bruder weit weniger zimperlich, so lange gezögert haben, dieses Modell zu übernehmen. Es gibt bei uns keine nennenswerte Tradition der Kurzgeschichte. Im Gegenteil, eher eine fast unerklärliche Abneigung gegen dieses Genre, das in die Schulbücher verdrängt und damit zur verhassten Pflichtlektüre herabgewürdigt wurde. Vielleicht hat sich das etwas geändert.
Schon die Tatsache von Verena Auffermanns Sammlung spricht dafür. Mehr noch, was sie da seit dem Jahr 2000 jährlich zusammentragen konnte. Um Romane schreiben zu können, so zitiert sie den amerikanischen Großmeister der kleinen Geschichten, Raymond Carver, müsse „man in einer Welt leben, die Sinn macht, einer Welt, an die man glauben kann.“ Diese Behauptung, sicher problematisch, verweist jedoch auf einen Zusammenhang, den man früher, etwas hochtrabend vielleicht, Funktion der Literatur genannt hatte, also auf Möglichkeiten und Aufgabe einer solchen Literatur, die Momentaufnahmen ihrer Gegenwart liefert, kleine Mosaiksteinchen sozusagen, die sich, in einem solchen Zusammenhang (gar nicht so überraschend) zu einem großen Panorama fügen, in den Worten der Herausgeberin dieser „Besten Deutschen Erzähler“ Verena Auffermann, zu einer Totalansicht. Diese Jahrbücher, in denen auch die Moden, Trends und Tendenzen spiegeln, die großen Aufgeregtheiten einer kleinen Zeit spiegeln, dokumentieren damit nicht nur ein Stück Literaturgeschichte, sondern das, was ein Frankfurter Gelehrter einmal umständlich den Stand der geschichtsphilosophischen Sonnenuhr genannt hatte. Das ist doch was. (Martin Lüdke)

 

 

 

Termin:
Samstag, 31. August 2002, 17 Uhr, Schlossgarten

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