Podium International: Leon de Winter

Unter den erfolgreichen niederländischen Autoren, die internationales Renommee erworben haben, zählt Leon de Winter zu den produktivsten. Scheinbar anstrengungslos entwirft er seine Romane, betreibt ein autobiografisches Spiel mit seinen Figuren, verdeckt und enthüllt in deren komischen Schmerzen Vexierbilder seiner selbst, entführt mit gewinnendem Charme in ein Romanlabyrinth. Eines seiner Motti hat er im Roman „Leo Kaplan“ seinem gleichnamigen Helden und Schreibkollegen zugeschrieben: „Alles ist so verdammt kompliziert geworden, die Politik, die Liebe und der Sex. Wir brauchen Künstler, die mit ihrer Vorstellungskraft Wege durch den Dschungel bahnen können.“ Das Spiel zwischen dem Erzähler und seinen Personen ergäbe, für sich genommen, einen Detektivroman über den Roman. Aber damit nicht genug: Leon de Winter weiß auch die Rollen leichthändig zu wechseln: er schreibt fürs Kino, betätigt sich als Filmproduzent. Aus all dem kann sich eine faszinierende Beziehungsgeschichte ergeben: Leo Kaplan hat den Roman „Hoffmanns Hunger“ bereits geschrieben, bevor Leon de Winter auch nur eine Zeile verfasst hatte. Und vorausgesagt wird, dass er mit mäßigem Erfolg verfilmt werden wird – wie eben später in Wirklichkeit ...
Der Roman „Leo Kaplan“ ist bereits 1986 in den Niederlanden erschienen und liegt nun in der deutschen Übersetzung von Hanni Ehlers vor. Er ist das aberwitzige Frühwerk eines Autors, dem es, seiner Herkunft entsprechend, eher beschieden gewesen wäre, nur von Verfinsterungen, Schrecknissen und Obsessionen zu erzählen. Leon de Winters Eltern haben als Juden im Versteck überlebt, traumatisiert für den Rest ihres Lebens. Der Vater Leo Kaplans hat als Lumpenhändler „im Geruch von gehackter Leber, Altpapier und billigen Tricks“ sein Geld gemacht, die häusliche Atmosphäre, die Erinnerungen und Gedankenfluchten des Nachgeborenen ergeben im Roman hinreißende Szenen. Man könnte bisweilen meinen, de Winter habe an einem Drehbuch für Woody Allen geschrieben.
Leon de Winter, 1954 in ‘s-Hertogenbosch geboren, Studium an der Filmakademie in Amsterdam, debütierte 1984 mit dem Film „Die Grenze“, der auch bei den Filmfestspielen in Cannes lief. Berühmt wurde er, nachdem die Niederlande als Schwerpunkt auf der Frankfurter Buchmesse 1993 für Furore gesorgt hatten, mit Büchern wie „Hoffmanns Hunger“ (1994), einer Story über einen holländisch-jüdischen Botschafter in Prag, der sich in eine Spionin verliebt und selbst zum Spion wird; mit „SuperTex“ (1994), „Der Himmel von Hollywood“ (1998) und „Sokolows Universum“ (1999).
Der Roman „Leo Kaplan“ ist ein vielschichtiges Erzählwerk. Der Erotomane Kaplan zieht eine Frau ins Bett, die über ihn eine Seminararbeit schreiben will. Dann schickt ihn seine zweite Frau in die Junggesellenbude, weil sie ihrerseits, entnervt von seinen Seitensprüngen, zum Lover greift. Kaplan hetzt, immer auf der Suche nach der anderen, die sein fixes Sehnsuchtsobjekt sein wird, durch die Welt. Der ewig von seinen Erlösungsfantasien Gepeinigte bekennt: „Ich brauche die Illusion, nach Belieben aus dem auswählen zu können, was das Leben zu bieten hat.“ In seinen Geschichten wechselt er auch die Flughäfen, die Länder und die Erinnerungen, kurvt von einem Abenteuer zum nächsten, wird als das „rennende Symptom alles Rat- und Richtungslosen“ zum erotischen Don Quijote. Da begegnet ihm Ellen wieder, die Jugendliebe, die einst ein abruptes Ende genommen hatte, und wieder geht es los: Soll die erste die letzte und endgültige Frau sein?
Erfolgsautor Leon de Winter hat eine geniale Mixtur aus Spaß, Aventuren, Skurrilitäten, Einzelbildern eines erotischen Films, Melancholien und Sehnsuchtsepisteln geschrieben. Der kinoverrückte und brillante Erzähler setzt die Schnitte exakt, bleibt im Ton nonchalant, witzig und immer selbstironisch.
Leon de Winter ist Europas Antwort auf Amerikas große Erzähler. Demnächst erscheint sein Film „Der Himmel von Hollywood“, in der Regie von Sönke Wortmann, u.a. mit Burt Reynolds, Rod Steiger und Tom Berenger.
Wilfried F. Schoeller

Termin:
Freitag, 24. August, 20.30 Uhr, Markgrafentheater

Eintritt DM 12,–

Bio- und Bibliografie | Die anderen Teilnehmer 2001