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Das Autorenporträt:
Lenka Reinerová
Ihre
Geschichten sind wie die Erfüllung einer strahlenden Behauptung:
In Prag kann man noch immer mit offenen Augen träumen.
Lenka Reinerová, die bei ihren gefahrvollen Lebensabenteuern fast
immer die Jüngste war, ist nun unweigerlich die Letzte geworden:
die letzte Stimme der Prager deutschen Literatur, der legendären
Heimat von Kafka, Max Brod und vieler verschollener Geister. Die große
alte Dame der deutsch-tschechischen Literatur weiß ihre Stadt mit
Erinnerungszauber zu versehen. Sie hat Erzählungen unter dem Titel
Das Traumcafé einer Pragerin gesammelt, weiß
sich, wie ihr letzter Geschichtenband überschrieben ist: Zu
Hause in Prag manchmal auch anderswo. In ihren autobiografischen
Büchern ist die tschechische Hauptstadt noch immer, was sie einst
für viele war: das goldene Prag der versunkenen Anekdoten, des gehobenen
Lebensgefühls, der Episoden an jeder Ecke, der Geheimnisse in allen
Winkeln.
Aber die Stadt, in der Lenka Reinerová 1916 geboren wurde, ist
nicht ein Projekt verfälschender Nostalgie. Davor bewahrt sie die
Erinnerung an ihr eigenes Leben, das man wie eine Landkarte der erzwungenen
Daseinsimprovisation, zwischen den Polen Flucht, Not, Gefängnis und
Exil, lesen kann. In Prag lebt die junge Frau in der Melantrichgasse,
nur wenige Schritte von dem Hause entfernt, in dem der berühmte Egon
Erwin Kisch wohnt. Er wird für sie ein bewundertes Vorbild, ein Mentor,
er wird immer wieder ihre Wege kreuzen. Mit den Augen wacher Neugier registriert
sie das einmalige intellektuelle Klima Prags in der Vorkriegszeit, das
verschlungene Ineinander von deutschen, jüdischen, tschechischen
Überlieferungen. Nach Hitlers Machtübernahme kommen viele Emigranten
nach Prag und sie lernt sie alle kennen: Wieland Herzfelde und Ernst Bloch
zum Beispiel. Durch F. C. Weiskopf wird sie mit der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung
bekannt, tritt als blutjunge Anfängerin in die Redaktion ein. Sie
wird Kommunistin, hält Vorträge in der bitterarmen Provinz,
erlebt scharfe Auseinandersetzungen mit den nationalsozialistischen Henlein-Deutschen.
Weil sie ein französisches Visum im Pass hat, kann sie, als der Ernstfall
der deutschen Okkupation eintritt, nach Paris fliehen, wo sie als missliebige
Ausländerin für ein halbes Jahr in einem Frauengefängnis
verschwindet. Es folgt das Internierungslager im Rieucros, wo sie Märchen
und Lieder für die mitgefangenen Frauen schreibt. In Marseille wartet
sie wie die vielen anderen auf das rettende Visum. Weiskopf setzt sie
auf die Liste der American League of Writers, wodurch sie den rettenden
Stempel erhält. Das Schiff, das sie nach Mexiko bringen soll, wird
jedoch bereits in Casablanca aufgehalten. Die Flüchtlinge werden
interniert, sie kommt zeitweilig ins berüchtigte Wüstenlager
Oued Zem, bis es ihr gelingt, das Rettungsland in Mittelamerika zu erreichen.
Dort trifft sie wieder Egon Erwin Kisch und Anna Seghers, F. C. Weiskopf
und die anderen Schriftsteller, die in der kommunistischen Bewegung Freies
Deutschland und um den Verlag El libro libre sich versammeln.
Und auch Theodor Balk trifft sie wieder: den jugoslawischen Arzt und deutschen
Schriftsteller, dessen Lebensroman Das verlorene Manuskript
zu den hoch bedeutenden Zeugnissen der Exilliteratur gehört. Die
beiden heiraten 1943 und fahren nach Europa zurück, kaum dass der
Krieg vorbei ist. Seit 1948 lebte sie wieder in ihrer Heimatstadt Prag.
Doch war ich hier überhaupt noch zu Hause? Die jüdische
Bevölkerung ist ausgelöscht, Not und Elend sind groß,
der Stalinismus kommt als Bedrückung und als Gefahr gerade über
Leute ihrer Lebensart. Als Westemigrantin wird sie grundlos verdächtigt,
kommt für 15 Monate ohne Anklage und Urteil ins Gefängnis. Unterdessen
wird ihr Mann ohne ihr Wissen aus der Hauptstadt verbannt und aufs Land
verwiesen. Als sie entlassen wird, ist ihre Wohnung besetzt und sie weiß
nicht, wo sich ihr Mann und ihre 1946 geborene Tochter aufhalten. Erst
1964 wird sie rehabilitiert. Als Anhängerin des Prager Frühlings,
die von einem Kommunismus mit demokratischen Zügen träumt, erhält
sie nach 1968 in ihrer Heimat Schreibverbot, wird aus der Partei ausgeschlossen
und verliert ihre Arbeit in einem Verlag.
Lenka Reinerová legt in ihren stillen, genauen Geschichten Zeugnis
davon ab, was man einer Existenz an Schrecken, Albträumen und Lebensgefahr
zumuten konnte. Und doch sind sie mit einer leisen Zuversicht, ja Hoffnung
versehen. Im Bild des Hausengels hat sie diese Botschaft ihrer
Überlebenskraft personifiziert. Sie sagt: Der kommt, wenn er
merkt, dass man selbst den guten Willen hat, sich nicht von einer bösen
inneren oder äußeren Gefahr unterkriegen zu lassen, ganz allein
damit jedoch nicht fertig werden kann. Die 85-jährige Erzählerin
mit ihrer zauberischen Fähigkeit, die Welt trotz allem als ein offenes
Märchenbuch zu lesen, erzählt aus ihrem Lebenslabyrinth und
berichtet über ihr neuestes Projekt einer Sammlung der deutschen
Prager Literatur, auch der verschollenen Autoren.
Wilfried F. Schoeller
Im Anschluss an Gespräch und Lesung wird das Filmfeature
Ein Leben ist nicht genug gezeigt, das der MDR 1999 über
Lenka Reinerová und ihr Leben in Prag in seiner Reihe Lebensläufe
drehte.
Termin:
Sa, 25. August 2001, 20.30 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt DM 12,
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