Das Autorenporträt: Bodo Kirchhoff

Als der 1948 in Hamburg geborene, doch in Süddeutschland aufgewachsene Bodo Kirchhoff zu schreiben begann, herrschte in der deutschen Literatur ein Klima der ich-bezogenen Selbstbefragung, des emotionalen Ausdrucks und der authentischen Haltung vor. Das war Ende der Siebziger. Die Kollektivismen waren längst brüchig geworden. Man wollte den subjektiven Kern herausarbeiten, der sich in den festen Bezügen des schlechten Allgemeinen verfangen hatte. Das ist im Groben der literaturgeschichtliche Befund über die literarische Klein-Epoche, in die der Neuling Bodo Kirchhoff wie ein Ketzer eintrat.
Und es wurde bemerkt. Zunächst von den akademisch Gebildeten unter den Literaturliebhabern. Denn unverkennbar blieb in den Essays, Novellen und Theaterstücken des frühen Kirchhoff das Bewusstsein der Figuren weit zurück hinter dem, was sie taten oder was mit ihnen geschah. Dass das Ich nicht Herr im Haus ist, hatte Freud gelehrt. Dass es selbst der Ort eines konstitutiven Mangels – eines Mangels an Sein – ist, diese Heidegger’sche Einsicht war durch den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan mit Hilfe der Sprachwissenschaft konkreter gefasst worden.
Deutlich erkennbar standen solche Einsichten am Anfang von Kirchhoffs Schreiben. Schließlich hatte er seine Promotion über psychoanalytische Pädagogik geschrieben. Und der Titel seines Kursbuch-Essays von 1978: „Body-Building – Versuch über den Mangel“ war einschlägig. Spätestens 1980, als unter dem Titel, „Body-Building“ ein Buch mit diesem Essay, einer Erzählung und einem Theaterstück erschien, war klar, dass es nicht mehr um den Ausdruck von Empfindung, sondern um den heiklen Aufbau von Körperbildern und Identitäten und um die Irrungen des Begehrens ging.
In den Erzähltexten Kirchhoffs schälte sich in der Folge immer stärker die Figur des kalten Beobachters heraus. Die Illusionen der Liebe, der gelingenden Kommunikation und der Gemeinschaft waren außer Kraft gesetzt. Die Prosastücke „Ohne Eifer, ohne Zorn“ (1979) und die Erzählungen in dem Band „Die Einsamkeit der Haut“ waren auch erzählerische Versuche radikaler Versachlichung. Die Leidenschaften des Helden waren ebenso wie das Leiden der anderen Figuren Objekte einer minutiösen Beschreibung, die sich jede Einfühlung versagt. Dieser Eindruck der Distanz und Kühle, ja des Ferngesteuerten in den menschlichen Beziehungen hat große Aufmerksamkeit erregt und neben Bewunderung auch Irritation, gelegentlich auch wütende Reaktionen hervorgerufen. Zynismus wurde dem neusachlich herabgestimmten Autor vorgeworfen, der bestimmte humanistische Grundannahmen nicht länger gelten ließ. Doch die Markierung war gesetzt. Mit Bodo Kirchhoff war ein neuer Ton, ja eine neue Haltung in der deutschen Literatur sichtbar geworden.
Kirchhoff, der viel reiste und für die damals bedeutende Zeitschrift „TransAtlantik“ Reiseberichte verfasste, erweiterte zunächst nur die Schauplätze und die Milieus seiner Erzählungen. In seinem ersten Roman „Zwiefalten“ reist der gleichnamige Held mit dem sprechenden Namen um die halbe Welt, um jenseits aller exotischen Erfahrungen im Phantasma einer heimatlichen Telefonstimme illusionären Halt zu finden. Ein eklatantes Missverhältnis von Nähe und Ferne, von Nicht-Erleben und Erlösungshoffnung bestimmt den Roman, der immer noch trostlos und kalt den Helden an der Dichte der Dinge und Verhältnisse scheitern lässt: Er ist da und dabei und nimmt doch nicht teil.
Dieser Abstand bricht erst in der „Mexikanischen Novelle“ von 1984 auf, wo ein mörderisches Unglück die „kalte Haut“ des Erzählers zu verletzen in der Lage ist. Demgegenüber wirken die reigenförmig angeordneten Erzählungen des Bandes „Dame und Schwein“ (1985), die vor allem auf die sprachliche Vermittlung des Begehrens zielen, wiederum kühler, aber auch spielerischer und ironisch. Es sind kurze postmoderne Meisterstücke des Erzählens.
1990 schließlich erschien „Infanta“, Kirchhoffs großer Roman, der die Komplexität der Erzählsituation stark erweitert und neben einem narzisstischen Helden andere bedeutende Figuren kennt, zumal eine Gruppe von Priestern in dem Ort „Infanta“ (auf den Philippinen), die das Leben des Helden beobachten, beschreiben, ja es eigentlich erst konstruieren, gemäß ihren eigenen Lebens- und Liebesgeschichten.
Die herausragende Qualität des Romans ist durchaus erkannt worden, doch immer noch gab es Stimmen, die die Befremdung durch Kirchhoffs Erzählwelt nicht als Herausforderung an die Erkenntnis verstanden, sondern dem Autor als modische Strategie zurechnen wollen. Dabei verkennend, dass Strategien der Bildung von Subjekten das dauerhafte Thema von Kirchhoffs Texten sind.
Trotzdem war spätestens zu diesem Zeitpunkt jedem – auch den Einwände formulierenden Kritikern – klar, dass Bodo Kirchhoff zu den großen zeitgenössischen Erzählern gehört.
Mit seinem neuen umfangreichen Roman „Parlando“, auf den sich in diesem Herbst größte Erwartungen richten, ist Bodo Kirchhoff jetzt in einem anderen Verlag untergekommen. Nach zwanzig Jahren Suhrkamp wird „Parlando“ in der Frankfurter Verlagsanstalt herauskommen, dem Verlag des Kirchhoff-Freundes Joachim Unseld.
Ein neuer Aufbruch wird damit signalisiert. Aus dem Roman, der die Geschichte eines Mordverdächtigen erzählt, der wiederum auf den Spuren seines erotisch obsessiven Vaters seine eigene Geschichte nachvollzieht, aus diesem neuen Roman mit dem Titel „Parlando“ liest Bodo Kirchhoff in Erlangen.
Hubert Winkels

Anschließend an Gespräch und Lesung wird der Film „Manila“ von Romuald Karmakar, 2000, gezeigt. Bodo Kirchhoff schrieb mit Karmakar zusammen das Drehbuch. Im Januar 2000 erhielten sie dafür den Bayerischen Filmpreis. Zu den Darstellern gehören Jürgen Vogel, Manfred Zapatka, Martin Semmelrogge, Herbert Feuerstein, Margit Carstensen, Michael Degen. „Es geht nicht nur um Sex und Tourismus“, erläutert Kirchhoff. „Darum geht es in ‚Manila’ auch, aber last but not least ist das hier ein Terrain, wo man dieses faszinierende Amalgam aus Dritter Welt, Überresten des Kolonialismus, Katholizismus und dem American Way of Life studieren kann.“

Termin:
Do, 23. August 2001, 20.30 Uhr, Markgrafentheater

Eintritt DM 12,–

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