35. Erlanger Poetenfest — 27. bis 30. August 2015
Bilderbuch-Lesewiese im Schlossgarten – Foto: Erich Malter, 2007

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Raoul Schrott

Polyglottes Originalgenie oder poetischer Luftikus? Virtuoser Maskenspieler oder epigonaler Stim­men­imitator? Raoul Schrott, der 1964 angeblich auf einem Schiff geborene Lyrik-Archäologe und interkontinentale Sprachweltreisende aus Tirol, hat immer wieder die literarische Welt in Erstaunen und Aufregung versetzt. In seiner Anthologie „Die Erfindung der Poesie“ (1997) führte er seine Leser auf eine wundersame Expedition zu den Quellen der Weltpoesie. Dann übersetzte er die Grundlagenwerke der Dichtkunst: Homers „Ilias“, das Gilgamesch-Epos, die „Theogonie“ des Hesiod, die „Bakchen“ des Euripides und noch ältere Zeugnisse der literarischen Frühgeschichte. Aus Homer, dem fahrenden Sänger und Dichtergenie, wird bei Schrott ein griechischer Schreiber im assyrischen Staatsdienst. In seinem Gedichtband „Tropen“ (1998) fahndete er nach den Spuren des „Erhabenen“, im „Weissbuch“ (2004) führte er drei elementare wie disparate Passionen zusammen: die Frau, die Jagd und „das Heilige“. Seinen Namen, den mancher schon für eine Erfindung gehalten hat, hat er einmal so erklärt: „Schrott geht auf das mittelalterliche ‚schroten‘ zurück und stammt vom indoeuropäischen sker ab – ›schneiden, kratzen, graben, pflücken, sammeln, trennen, sieben‹ – und verweist auf die ältesten menschlichen Existenzgrundlagen.“ Und tatsächlich ist ja die Arbeit des Dichters ursprünglich das „Schroten“ – das Einkratzen der Buchstaben in Ton- oder Wachstafeln. In seinem neuen Band „Die Kunst an nichts zu glauben“ erprobt Raoul Schrott wieder einmal die Suggestivkraft der Dichtung: mit einer Poesie, die eine Moral ohne Gott entwirft und das Leben ganz im Diesseits preist. Lassen wir uns überraschen. (M. B.)

Auszeichnungen u. a.: Stipendium des Landes Tirol (1992), Österreichisches Staatsstipendium (1993), Preis des Landes Kärnten beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb (1994), Leonce-und-Lena-Preis (1995), Rauriser Literaturpreis, Berliner Literaturpreis, Robert-Musil-Stipendium, Friedrich-Hölderlin-Förderpreis (1996), Peter-Huchel-Preis (1999), Joseph-Breitbach-Preis, Mainzer Stadtschreiber (2004), Medienpreis der Guntram und Irene Rinke-Stiftung (2007), Tiroler Landespreis für Kunst (2009).

Veröffentlichungen (Auswahl):

– „Hotels“, Gedichte, Haymon, Innsbruck 1995
– „Finis terrae. Ein Nachlaß“, Roman, Haymon, Innsbruck 1995
– „Tropen. Über das Erhabene“, Gedichte, Hanser, München 1998
– „Bakchen. Nach Euripides“, Novelle, Hanser, München 2000
– „Khamsin“, Erzählung und Essay, S. Fischer, Frankfurt a. M. 2002
– „Die Wüste Lop Nor“, Novelle, Hanser, München 2000
– „Tristan da Cunha oder Die Hälfte der Erde“, Roman, Hanser, München 2003
– „Weissbuch“, Gedichte, Hanser, München 2004
– „Handbuch der Wolkenputzerei“, Essays, Hanser, München 2005
– „Homers Heimat. Der Kampf um Troia und seine realen Hintergründe“, Hanser, München 2008
– „Die Blüte des nackten Körpers. Liebesgedichte aus dem Alten Ägypten“, Hanser, München 2010
– „Das schweigende Kind“, Erzählung, Hanser, München 2012
– „Die Kunst an nichts zu glauben“, Gedichte, Hanser, München, 28. September 2015

Sa, 29.8., 18:30 Uhr, Schlossgarten

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