35. Erlanger Poetenfest — 27. bis 30. August 2015
Bilderbuch-Lesewiese im Schlossgarten – Foto: Erich Malter, 2007

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Dana Grigorcea

Beim diesjährigen Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb überraschte und begeisterte Dana Grigorcea und fuhr mit dem 3sat-Preis nach Hause. Zuhause, das ist für sie und ihre Familie Zürich, geboren wurde sie 1979 in Bukarest.
Ihr zweiter Roman „Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit“ erzählt von Bukarest, wie es früher gewesen ist, wenige Jahre nach dem Tod des Diktators Ceausescu, und wie es heute ist. Ich-Erzählerin ist die Bankangestellte Victoria. Nach einem Bankraub wird sie beurlaubt, um sich vom Schrecken zu erholen. Victoria braucht keine Erholung, sie registriert die Welt mit all ihren Skurrilitäten, sieht Fotos ihrer Groß- und Urgroßmütter und -väter, betrachtet Bücher und Fotos der Stadt, vergleicht die Stadt von heute mit der Pracht des Jahres 1836: 300 Privatkutschen und nur 200 für den öffentlichen Verkehr. Victoria reagiert nicht mit Schmerz und Trauer, über alles was war, über Kommunismus und Schikane, sie lacht, findet es komisch, ihr Humor hat etwas Befreiendes. Sie bürstet alles gegen den Strich, besonders die traumatischen, die tragischen Begebenheiten. Da ist das verquere Verhältnis zur Mutter, zur Kultur, in der die Erzählerin aufgewachsen ist, zu den Filmen, die sie geprägt haben („Fram, der Polarbär“), zu den eifrigen Herren von der Securitate und zu dem legendären Auf-tritt von Michael Jackson, der Bukarest mit Budapest verwechselte. Dass die Tragik komisch ist, haben uns Autoren aus dem Osten Europas schon immer beschrieben, vielleicht weil der Fernseher mit Zeitungspapier beklebt ist. Dana Grigorcea nimmt den Kommunismus, seine Mitarbeiter und Genossen auf den Arm und beleuchtet die neue nicht minder skurrile Welt mit Victorias distanzierender Leichtigkeit. Kein Unglück ist zu groß, um es nicht sprachlich aufzuspießen. Die Autorin, die beim Tod Ceausescus zehn Jahre alt war, blendet über, zur Mittagspause ins berühmte Zürcher Café Sprüngli: „ich wünschte, ich hätte so was erlebt ...“ sagt eine Bankkollegin Victorias, „heute sind wir nur noch kapitalistische Haie.“ Die ironie- und humorbegabte Dana Grigorcea porträtiert zwei Welten, oben leicht und unten mit doppeltem Boden. (V. A.)

Auszeichnungen u. a.: 3sat-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb (2015).

Veröffentlichungen (Auswahl):

– „Baba Rada. Das Leben ist vergänglich wie die Kopfhaare“, Roman, KaMeRu-Verlag, Zürich 2011
– „Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit“, Roman, Dörlemann, Zürich 2015

Sa, 29.8., 14 Uhr, Orangerie und 16:30 Uhr, Schlossgarten

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Website:
www.grigorcea.ch