35. Erlanger Poetenfest — 27. bis 30. August 2015
Bilderbuch-Lesewiese im Schlossgarten – Foto: Erich Malter, 2007

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Verena Lueken

Sommer in New York „sei eine erbärmliche Zeit, um zu sterben“. Verena Lueken, die Filmkritikerin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hat einen Roman über das Überleben geschrieben. Ein ergreifendes Buch über Krankheit, Schmerz und Mut. Über die Kraft der Literatur, die Freundschaft und die Liebe. Besondere Eindringlichkeit gewinnt der Roman durch das erzählende „sie“. Eine sowohl distanzierend verfremdende, als auch annähernde Haltung. Dieses raffinierte „sie“ liest einen Roman von James Salter und denkt über den Tod nach. Im heißen New York, wo sie den Sommer verbringen, eine Pause in den Alltag einlegen, nachdenken, vielleicht etwas schreiben will, bekommt sie hohes Fieber. Sie nimmt die Nachricht, dass ihr die dritte Krebsoperation bevorsteht, gelassen auf. Sie glaubte, „sie wisse, was auf sie zukommt“. Das „sie“ entzieht sich, geht ins Kino, denkt an die Menschen, mit denen sie Gespräche geführt hat, doch die Realität ist ihr auf den Fersen. Im Kopf erscheint die Figur der Mutter, und es entsteht eines der schönsten Mutter-Tochter-Porträts, das man sich vorstellen kann. Es ist das lückenhafte Bild, das sich aus kleinen Erinnerungen zusammensetzt. Es sind die Fragen, die um das Leben der Mutter kreisen, und vor allem das Gefühl der Liebe, das die Sätze bestimmt. Und das scheinbar anstrengungslos. „Kindness“, Liebenswürdigkeit, schreibt die Autorin einmal, sei ein Wort, das viel zu wenig im Umlauf ist. „Liebenswürdig“ ist zutreffend für dieses Mutter- und Tochterverhältnis. Mit der Beschreibung wird zugleich die Zeit der 60er-, 70er-Jahre skizziert. Diese Liebe verkleinert nicht den enormen Schmerz nach der Operation, der Schmerz scheint in seiner gesamten Monstrosität in der Liebe aufgehoben. Das „sie“ entkommt der Hölle und stellt die Frage, wie man nach einer solchen Operation leben kann, was zu ändern ist und ob das überhaupt geht. „Alles zählt“ ist ein Roman über den Mut nachzudenken. Alles vermischt sich, die reale und die fiktive Welt, die Romane, die Filme, die Begegnungen, die Erinnerungen an die Liebe und schließt mit einer Reise nach Burma, in eine entgegengesetzte Welt, auf der Suche nach einem Mann, den sie nicht finden wird. (V. A.)

Veröffentlichungen (Auswahl):

– „Kinoerzählungen“, Hrsg., Hanser, München 1995
– „New York. Reportage aus einer alten Stadt“, DuMont, Köln 2002
– „Gebrauchsanweisung für New York“, Piper, München 2005
– „Alles zählt“, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 17. August 2015

Sa, 29.8., 14:30 Uhr, Schlossgarten

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