35. Erlanger Poetenfest — 27. bis 30. August 2015
Nebenpodium im Schlossgarten. Moritz Rinke im Gespräch mit Verena Auffermann – Foto: Erich Malter, 2006

Veranstaltung


Das Porträt: Sibylle Lewitscharoff
Juchzend dem Mond entgegen
Lesung und Gespräch mit Maike Albath

Alles begann mit einem Sprung, und zwar von Pong. Pong, ein ballartiges Geschöpf unvergleichlicher Art, hüpfte juchzend dem Mond entgegen und lieferte den Titel des 1998 mit dem Bachmann-Preis ausgezeichneten Textes. Von da an kannte man Sibylle Lewitscharoff. Pong gab auch den Rhythmus vor, mit dem die 1954 in Stuttgart geborene Schriftstellerin seither in der Literatur unterwegs ist: Mit unerschöpflicher Sprachversessenheit schlägt sie überraschende Haken und Purzelbäume, erzählt von Wundern und Epiphanien, lässt Löwen auf Philosophen los und durchstreift immer wieder das Totenreich.

Da gab es Kurzprosa über wunderliche Gestalten, wie in ihrem Debüt „36 Gerechte“, das 1994 im Münsteraner Verlag der Galerie Steinrötter erschien und mit Scherenschnitten der Verfasserin bestückt war. Mit „Pong“ auf den Geschmack gekommen, lieferte Lewitscharoff bald darauf Unsinnspoesie: In dem eigenhändig bebilderten Band „Der höfliche Harald“ (1999) zieht ein kleiner Junge in die Welt und trifft auf sprechende Krokodile, den Hosenschlotterer, ein vorwitziges Mäusetrio sowie Mörtelbienen, Hosenbienen und Wollbienen. Dem ruinösen Großprojekt eines schwäbisch-italienischen Filmproduzenten ging die Autorin in dem Roman „Montgomery“ (2002) nach: Montgomery Cassini-Stahl will Joseph Süß Oppenheimer mit einem großen Film ehren und geht daran zugrunde. Ein kurioses Stelldichein gaben sich Jenseitsbewohner in „Consummatus“ (2006): Der wackere Studienrat Ralf Zimmermann muss nur ein Stuttgarter Café betreten, und schon ist er umzingelt von lärmenden Gespenstern der Pop-Geschichte. In „Apostoloff“, Lewitscharoffs persönlichstem Buch, treten zwei Schwestern eine Reise nach Bulgarien an, die sterblichen Überreste des Vaters im Gepäck. Die halsbrecherische Fahrt quer über den Balkan wird zur Abrechnung mit dem Erzeuger, der sich durch Selbstmord seinen Töchtern entzog.

Dass der Ursprung des Erzählens, „diese über Generationen entwickelte Geschicklichkeit, einen Sinnfaden durch die Welt schlängeln zu lassen“ mit Gewalt zusammenhängt, untersuchte Lewitscharoff in ihrer Rede „Der mörderische Kern des Erzählens“ (2010). Erzählen als Sinnstiftung und „grandioses Mittel gegen die Angst“ zu deuten, erinnert an Überlegungen des Philosophen Hans Blumenberg, dem sie in ihrem Roman „Blumenberg“ (2011) einen veritablen Löwen zur Seite stellte. Dieses Tier räkelt sich eines Abends auf dem Teppich des Studierzimmers und hat den Vornamen des Forschers verschlungen. Wieder wimmelt es von allen möglichen Figuren, die an ihren hochfliegenden Träumen zugrunde gingen und nun in einer jenseitigen Sphäre herumgeistern. Mit einem landläufigen Realismus, gegen den sie in ihren Frankfurter Poetikvorlesungen Front machte, hat Sibylle Lewitscharoffs Literatur gar nichts zu tun. Ihre Arbeit speist sich aus ganz anderen Quellen. Nachdem sie in „Killmousky“ einen früh verrenteten Kommissar in die Spur schickte, wendet sie sich jetzt dem Urvater der italienischen Dichtung zu: Dante Alighieri. Ausgerechnet bei einem internationalen Kongress über den Verfasser der „Göttlichen Komödie“ ereilt die Teilnehmer ein Pfingstwunder. Die Wirkung ist so stark, dass die Dante-Forscher am Ende aus dem Fenster fliegen. Irdische Geschicke betrachtet man eben am besten aus himmlischer Perspektive, mit grimmigem Humor.
Maike Albath

zuletzt: Sibylle Lewitscharoff: Killmousky. Roman. Suhrkamp. Berlin, 2014
demnächst: Sibylle Lewitscharoff: Das Pfingstwunder. Roman. Suhrkamp. Berlin, 2016

Samstag, 29. August, 20:30 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: von 5,00 / erm. 3,50 bis 10,00 / erm. 8,50 Euro

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