35. Erlanger Poetenfest — 27. bis 30. August 2015
Nebenpodium im Schlossgarten. Moritz Rinke im Gespräch mit Verena Auffermann – Foto: Erich Malter, 2006

Veranstaltung


Das Porträt: Robert Menasse
Die Zerstörung der Welt als Wille und Vorstellung
Lesung und Gespräch mit Dirk Kruse

„Irgendwann wird die Gegenwartsliteratur, wie immer, nicht mehr anders gelesen werden können als dahin gehend, ob sie zu erzählen und darzustellen verstand, was vorging, scheinbar und unscheinbar“, heißt es 2006 in Robert Menasses kontrovers diskutierten Frankfurter Poetikvorlesungen. Gemessen an diesem Credo der Darstellung von Zeitgenossenschaft können es die Werke des 1954 in Wien geborenen Romanciers und Essayisten durchaus mit ihren großen Vorgängern aufnehmen. So wie man Theodor Fontane liest, um etwas über das preußische Junkertum zu erfahren oder Thomas Mann wegen der Schilderung des Bürgertums oder Uwe Johnson als Chronist der Deutschen Teilung, wird man dereinst zu Robert Menasse greifen, um sich ein Bild von der nachgeborenen 68er-Generation zu machen. Seine „Trilogie der Entgeisterung“ – bestehend aus den Romanen „Sinnliche Gewißheit“ (1988), „Selige Zeiten, brüchige Welt“ (1991) und „Schubumkehr“ (1995) sowie dem Traktat „Phänomenologie der Entgeisterung“ (1995) – zählt zu den bedeutendsten Werken der deutschsprachigen Literatur im ausgehenden 20. Jahrhundert. Dabei handelt es sich auch um einen Gegenentwurf zur Philosophie Hegels, der die Hoffnung vom glücklichen Verlauf der Geschichte hegte und glaubte, dass die Menschheit auf ein Ziel zusteuere. Auch die beiden großen, ebenso tiefgängigen wie humorvollen Romane „Die Vertreibung aus der Hölle“ (2001) und „Don Juan de la Mancha oder Die Erziehung der Lust“ (2007) gehören in diesen Kontext des Epochenromans.

Robert Menasse, der in eine jüdische Familie geboren wurde – sein Vater überlebte den Holocaust, weil er Österreich 1938 mit einem der letzten Rettungstransporte für jüdische Kinder nach England verlassen konnte – ist zudem ein streitlustiger und messerscharf analysierender Intellektueller. Das äußert sich vor allem in seinem essayistischen Schaffen. Der promovierte Literaturwissenschaftler, der in Wien, Salzburg und Messina Germanistik, Philosophie und Geschichte studiert hat, setzte sich vielfach kritisch mit seiner Heimat Österreich auseinander. Die Essaybände „Das Land ohne Eigenschaften“ (1992), „Dummheit ist machbar“ (1999) oder „Das war Österreich“ (2005) sind durchaus programmatisch zu verstehen. Das Essayschreiben betrachtet Menasse als geistige Notwehr und begründete 1999 den „Jean-Amery-Preis für Essayistik“. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich der vielfach ausgezeichnete Österreicher, der acht Jahre in Brasilien lebte und an der Universität São Paulo Vorlesungen zu philosophischen und ästhetischen Theorien hielt, Europa zugewandt und unter anderem 2012 mit „Der Europäische Landbote“ eine fulminante und preisgekrönte Verteidigungsschrift für die viel gescholtene Brüsseler Bürokratie vorgelegt. Als Schriftsteller von Rang, brillanten Essayisten, politischen Philosophen und meinungs-starken Intellektuellen kann man Robert Menasse mit Fug und Recht einen großen Europäer nennen.

Momentan schreibt er im selbstgewählten Exil an der österreichisch-tschechischen Grenze an seinem großen Europa-Roman und besucht keine Veranstaltungen. Aus Verbundenheit mit dem Erlanger Poetenfest, das er als wunderbare und beglückende Party für Leser und Autoren bezeichnet, macht er eine Ausnahme.
Dirk Kruse

zum Thema: Robert Menasse: Der Europäische Landbote. Die Wut der Bürger und der Friede Europas oder Warum die geschenkte Demokratie einer erkämpften weichen muss. Zsolnay. Wien, 2012
zuletzt: Robert Menasse: Heimat ist die schönste Utopie – Reden (wir) über Europa. Suhrkamp. Berlin, 2014

Sonntag, 30. August, 20:00 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: von 5,00 / erm. 3,50 bis 10,00 / erm. 8,50 Euro

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