33. Erlanger Poetenfest — 29. August bis 1. September 2013
Nebenpodium im Schlossgarten. Moritz Rinke im Gespräch mit Verena Auffermann – Foto: Erich Malter, 2006

Veranstaltung


Autorenporträt: Felicitas Hoppe
Alles ehrlich erfunden
Lesung und Gespräch mit Dirk Kruse

Bei einer Autorin, die aus der Rattenfänger-Stadt Hameln stammt, und die bekennt, dass Pinocchio zu ihren Lieblingsfiguren in der Literatur zählt, ist doppelte Vorsicht geboten. Der Leser, der eine beliebige Seite eines Hoppe-Textes aufschlägt, muss aufpassen, nicht von den lockenden Flötentönen dieser so spielerisch leicht daherkommenden Prosa betört zu werden. Wenn er nicht achtgibt, wird er Hals über Kopf in eine Geschichte voller Bizarrerie, Abenteuer, Doppelgänger, Dreifachsaltos und Übermut hineingezogen, aus der er nur schwer und unter Aufbietung aller Verstandeskräfte wieder herauskommt. Man darf Felicitas Hoppe nichts, aber auch gar nichts glauben, von dem, was sie erzählt. Schon in ihrem Prosadebüt verbreitet sie Geschichten von über Nacht nachwachsenden Haaren und Vätern, die sich in ein Möbelstück verwandeln. Und so geht das weiter, Werk für Werk, bis hin zu ihrem jüngsten Roman „Hoppe“, in dem sich die Autorin eine Biografie als amerikanische Eishockeyspielerin und australische Dirigentin „erschwindelt“. Anders als ihre literarische Lieblingsfigur kann die Schriftstellerin lügen, ohne dass ihre Nase dabei länger wird. Freilich kontert Felicitas Hoppe diesen Vorwurf bereits in ihrem ersten Roman „Pigafetta“, der von einer Seereise um die Welt auf einem Containerschiff handelt, die die Autorin tatsächlich gemacht, die aber so langweilig gewesen sein muss, dass sie sie mit allerlei möglichen und unmöglichen Gestalten bevölkert hat, folgendermaßen: „Es ist nichts erlogen. Ich habe alles ehrlich erfunden.“ Bei keiner anderen Erzählerin kann der Leser besser begreifen, warum wir bei Belletristik von fiktionaler Literatur sprechen.
Schon über ihr erstes Buch „Picknick der Friseure“ – eine Sammlung von 20 absurden Geschichten, die sie 1996 beim Erlanger Poetenfest vorstellte – hieß es, dass Hoppe ihre Leser in abgründige Welten führe. Daniil Charms, Samuel Beckett, Flann O’Brien oder Reinhard Lettau fallen einem da als Gewährsmänner ein. Man könnte aber auch sagen: So hätte Kafka geschrieben, wenn er mehr Humor gehabt hätte.
Nahezu einhelligen Beifall – und das ist in den Jahren davor eher nicht die Regel gewesen – gab es, als Felicitas Hoppe 2012 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde. Die Jury lobte ihr vielstimmiges Werk, in dem sie die Welt der Abenteurer, Hochstapler, Entdecker und Taugenichtse erkunde. „In einer lakonischen und lyrischen, eigensinnigen und uneitlen Prosa hat sie ein erzählerisches Universum erfunden, in dem Grundfragen eines ‚postmodernen’ Daseins mit freier und befreiender Phantasie durchgespielt werden.“ Ob Felicitas Hoppes Art zu schreiben nun uneitel ist oder nicht doch ein ironisches Spiel mit der Eitelkeit, muss sich jeder Leser selbst beantworten. Auf alle Fälle ist das Betreten des abgründigen Hoppeschen Erzählkosmos ohne Netz und doppelten Boden ein lohnendes Wagnis. Denn unter den Erzählern, die die Luftgeschäfte der Prosa betreiben, ist Felicitas Hoppe eine der erstaunlichsten Akrobatinnen.
Dirk Kruse

zuletzt: Felicitas Hoppe: Hoppe. Roman. S. Fischer. Frankfurt am Main, 2012 – Georg-Büchner-Preis 2012

Sonntag, 1. September, 20:30 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: von 5,00 / erm. 3,50 bis 10,00 / erm. 8,50 Euro

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