Nora Gomringer

Die jungen Helden der „Spoken Word Poetry“ brauchen Ohrenzeugen. Die wirkungsvollsten Kunstmittel dieser Dichter sind die Mündlichkeit, der konkrete Sprechakt, die starke Performance – und die Tuchfühlung mit einem Publikum, das sich von den verbalen Suggestionen mitreißen lässt. Die Wucht des Oratorischen, des Psalmodierens, das Drama der Sprachverzückung – all dies zelebriert die 1980 im saarländischen Neunkirchen geborene Nora Gomringer in unwiderstehlicher Dynamik.
Die 30-jährige Dichterin ist die Tochter des Schweizer Gründervaters der konkreten Poesie, Eugen Gomringer. Von ihm hat sie die Lust am Wörter-Komponieren geerbt, ohne sich festlegen zu lassen auf die strenge Systematik der „Konstellationen“ oder „Permutationen“, wie sie Eugen Gomringer in den 1950er-Jahren in der Gegenwartslyrik durchsetzte. Nach einem Studium der Anglistik, Germanistik und Kunstgeschichte sowie Praktika in Los Angeles und New York gelang Nora Gomringer eine folgenreiche Erfindung: 2001 rief sie zum ersten Bamberger Poetry-Slam, dem viele Slam-Sessions in Deutschland, Europa und den USA folgten.
Sprachbegeisterung allein bürgt indes nicht für poetische Qualität; und Enthusiasmus ist kein Stilprinzip. Viele „Spoken Word“-Poeten stützen ihre Darbietungen einzig und allein auf gestenreich herausgeschleuderte Wort-Exaltationen. Was als Performance-Akt gelingen mag, verliert als Lesetext schnell jeden Reiz. Nora Gomringers „Sprechtexte“ lassen diese Kinderkrankheiten der „Spoken Word Poetry“ hinter sich. Ihre Ankündigung, etwas „Unerhörtes“ und „Außergewöhnliches“ mit der „durch und durch bekannten“ Sprache „zu machen“, erfüllt sie mit Leben durch den Wechsel zwischen unterschiedlichsten Sprechhaltungen und durch die Realisierung verblüffender Formexperimente. In ihrem Gedichtband „Klimaforschung“ (2008) hat sie sich von den Performance-Bemühungen der Slam-Poetry schon ein Stück weit entfernt. Es geht nicht mehr um die unmittelbar sinnliche Demonstration lautpoetischer Obsessionen oder um pointensüchtige Klang- und Reimspiele, sondern um die Mobilisierung aller Sprachdimensionen, die ein Gedicht freisetzen kann.
Nora Gomringers neuer Band „Nachrichten aus der Luft“ handelt vom Reisen, vom Nomadisieren, vom Ankommen und Verirren in der Fremde und vom Zauber der Ferne, die Distanz und Verwandlung ermöglicht. Die Hündin Laika, von den Russen dereinst ins All katapultiert, um die Menschheit der großen Ferne noch näher zu bringen, wird zum Totemtier der Dichterin. Nora Gomringer erinnert sich an Laika, indem sie ihr Reisen auch als auferlegte Entfernung von den Dingen beschreibt. (M. B.)
Auszeichnungen u. a.: Hattinger Förderpreis für Literatur (2003), Pablo-Neruda-Preis des Literaturhauses Rostock (2005), Internationaler Lyrikpreis des IWC Turin, Förderpreis der Kulturstiftung Erlangen, Kunstförderpreis des Freistaates Bayern (2006), Bayerischer Kulturpreis (2007), Nikolaus-Lenau-Lyrikpreis (2008), Aufenthaltsstipendium Ledig House, New York (2009), Poetik Dozentur Universität Koblenz-Landau (2010).

Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Silbentrennung“, Gedichte, Grupello, Düsseldorf 2002
– „Sag doch mal was zur Nacht”, Gedichte, Voland & Quist, Dresden/Leipzig 2006
– „Klimaforschung“, Gedichte, mit Audio-CD, Voland & Quist, Dresden/Leipzig 2008
– „Nachrichten aus der Luft“, Gedichte, mit Audio-CD, Voland & Quist, Dresden/Leipzig, August 2010
Hörbuch (Auswahl):
– „Kleine Menschen“, Audio-CD, zus. mit M. Stauffer, Verlag Der gesunde Menschenversand, Luzern 2010

Sonntag, 29. August, 16:30 Uhr, Schlossgarten


 

Website:
www.nora-gomringer.de

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