Moritz Rinke

Wir wissen alle, wie schwer es ist, über uns selbst zu lachen. Da sind wir Deutschen regelrecht gehemmt. Über die anderen lachen wir ja gerne und jederzeit, aber über uns selbst? Moritz Rinke ist da ganz anders. Er kann das und ist eine pure Ausnahmeerscheinung. Der Achtunddreißigjährige ist ein erfolgreicher Dramatiker, aber Dramatiker klingt für ihn viel zu bombastisch. Moritz Rinke ist bescheiden. Er hat keinen geringeren Stoff als die „Nibelungen“ neu geschrieben. Und warum? Weil sein Waldorfschullehrer in Ottersberg bei Bremen ihm die Nibelungen nahe gebracht hat. In seinem neuen Buch „Das große Stolpern. Erinnerungen an die Gegenwart“ findet man eine kleine Hommage an seinen Lehrer und an die Schulglocke, die immer noch so läutet, wie sie damals geläutet hat. Es gibt kein Thema, das für Rinke zu klein und zu abgenutzt wäre. Also weder die Schulglocke in Ottersberg noch die Fußballweltmeisterschaft 2006, weder eine Schiffsreise noch die Erlebnisse im Hauptbahnhof Hannover, Gleis 8. Vom Himmel Eisregen und auf dem Kalender Heiligabend. Und natürlich ist Bayreuth für den spöttischen Blick Rinkes ein Eldorado. Ganz abgesehen von Wagner, schon die vielen Bayreuther Verkehrszeichen machen ihm einen Heidenspaß. Und das ist typisch für Rinkes Blick. Er begreift die tragische Komik der Welt als Ensemble. Verkehrsschilder und Wagner, Papstaudienz für Ehebrecher: Schröder, Fischer und Prinz Charles. Er schaut fern und sieht, was das Fernsehen alles zusammenwürfelt, was im Leben penibel auseinandergehalten wird. Er beobachtet eine Chefsekretärin, schrecklich und herzensgut, wie sie mit Tageszeitungen im Arm und Katzenfutter in der Manteltasche morgens die Bürotür öffnet. Er steht in seiner Bäckerei nebenan und hört zu, und dabei wird ihm klar, dass es genauso kompliziert ist, Goethe und Schiller, wie Schwarzwälderkirschtorte und Florentiner auseinander zu halten. Zwischen Rinkes im „Großen Stolpern“ versammelten Reportagen findet man Dramolette. Keine Szene entgeht seinem Blick, weder der Schuhputzer am Alexanderplatz, noch wir Deutschen überhaupt, „eine Mischung aus Hektik und Starre“. Und zwischendurch seufzt Moritz Rinke und wir mit ihm: „Mein Gott, was für eine Welt“. Wie er sie beschreibt, lohnt es sich, sie trotzdem noch mal zu betrachten. (V.A.)
Auszeichnungen u. a.: Berliner Journalistenpreis (1994, 1997), Literaturpreis des P.E.N.-Clubs Liechtenstein (1997).

Veröffentlichungen (Auswahl): – „Der graue Engel. Ein Monolog zu zweit“, Fannei & Walz, Berlin 1995 – „An die Berlinerin. Eine literarische Liebeserklärung in Vers und Prosa“, Hrsg., Fannei & Walz, Berlin 1998 – „Der Blauwal im Kirschgarten. Erinnerungen an die Gegenwart“, Rowohlt, Berlin 2001, Taschenbuch ebd. 2003 – „Die Nibelungen“, Taschenbuch, Rowohlt, Reinbek 2002 – „Trilogie der Verlorenen“, Stücke und Essays, Taschenbuch, Rowohlt, Reinbek 2002 – „Das große Stolpern. Erinnerungen an die Gegenwart“, Kiepenheuer & Witsch, Köln, August 2005 – „Cafe Umberto. Szenen“, Rowohlt, November 2005
Theater (Auswahl): – „Der graue Engel“, UA Schauspielhaus Zürich 1996 – „Der Mann, der noch keiner Frau Blöße entdeckte“, UA Staatstheater Stuttgart 1999 – „Männer und Frauen“, UA Niedersächsisches Staatstheater Hannover 1999 – „Das Stockholm-Syndrom“, UA Schauspiel Bonn 1999 – „Republik Vineta“, UA Thalia Theater Hamburg 2000 – „Die Optimisten“, UA Schauspielhaus Bochum 2003 – „Cafe Umberto“, UA Düsseldorfer Schauspielhaus, September 2005


Sonntag, 28. August, 14 Uhr, Orangerie im Schlossgarten und 15.30 Uhr, Schlossgarten