Habib Bektas Es ist der 12. September 1980, ein Tag der Gewalt. In der Türkei bricht der „Septembersturm“ los, ausgelöst durch den Putsch der Generäle. Zehntausende werden von den Militärs verfolgt, inhaftiert und gefoltert. Auch die Eltern des fünfjährigen Metin werden zu Opfern der Repression. Metin selbst wird zu seinem Großvater nach Bozcaada geholt, einer kleinen Insel in der Ägäis, die ihm zunächst wie ein Paradies erscheint. Als Metins Eltern endlich das Gefängnis verlassen können, von der Haft gezeichnet und gebrochen, gerät die Welt für den Jungen aus dem Gleichgewicht. – Für diesen Film „Septembersturm“ hat der in Erlangen lebende Schriftsteller Habib Bektaş die Romanvorlage geliefert, den Schlüsselroman „Gölge Kokusu“ („Geruch des Schattens“, 1997), der die finsterste Zeit der jüngeren türkischen Geschichte aus der Kinderperspektive erzählt. Bektaş hat hier die verheerenden Folgen der Militärherrschaft für das Moral- und Sozialgefüge der türkischen Gesellschaft am exemplarischen Schicksal Metins eingefangen. Als der Junge im letzten Teil des Romans nach Deutschland kommt, verliert er jede Orientierung, gerät ins Drogenmilieu und erkrankt an Aids. Dagegen ist die Biografie von Metins Erfinder, des Autors und Café-Betreibers Habib Bektaş, eine abenteuerliche Erfolgsgeschichte. 1951 im türkischen Salihi nahe Izmir geboren, wanderte Bektaş 1973 nach Deutschland aus, wo er einige Jahre als Textil- und Metallarbeiter, dann als Streetworker tätig war, bevor er sich als Wirt des mittlerweile legendären Erlanger „Theatercafés“ selbstständig machte. Seine ersten Gedichte erschienen in den Siebziger Jahren in renommierten türkischen Literaturzeitschriften. Schon bald ging Bektaş dazu über, seine auf Türkisch verfassten Werke ins Deutsche zu übertragen. Auf diese Weise entstanden seither zahlreiche Romane, Erzählungsbände und Kinderbücher, in denen sich Bektaş vor allem mit dem Land seiner Herkunft und dem Lebensgefühl der zweiten und dritten Migrantengeneration in Deutschland beschäftigt. Seine „Kindergedichte für Erwachsene“ verblüffen dabei mit der „kindlichen elementaren Kraft“ ihrer Fügungen, seine Geschichten mit ihrer einfachen, schmucklosen, fast kargen Sprache. Einige seiner Bücher sind zweisprachig erschienen, wie zum Beispiel der Gedichtband „Zaghaft meine Sehnsucht“ (1997), in dem er sich zu einem frei gewählten Exil bekennt: „Ich bin nicht einsam, / solange mein freigewähltes Exil, das Wort, da ist.“ Wer sich von Migrantenliteratur ein gesinnungsästhetisches Trostpflaster oder multikulturelle Idyllik erhofft, wird bei Habib Bektaş nicht fündig werden. Im Gegenteil: „Jeder Ort ist für mich Fremde“, heißt sein Credo. In seinem jüngsten Erzählungsband „Ein gewöhnlicher Tag“ mit insgesamt 30 Geschichten werden die deutsch-türkischen Beziehungen mit beißendem Spott bedacht. Geschichten voll hintersinniger Komik stehen neben lakonisch-düsteren Texten, in denen die Helden an den fortwirkenden Traumatisierungen aus der Zeit der türkischen Militärdiktatur leiden. (M.B.)Auszeichnungen u. a.: Kulturförderpreis der Stadt Erlangen (1982), Romanpreis der Zeitung Milliyet (1989), Romanpreis des Inkilap Verlages (1997), Ömer Asim Aksoy Preis (2000). Veröffentlichungen in deutscher Sprache (Auswahl): – „Belagerung des Lebens“, Gedichte und Geschichten, zweisprachige Ausgabe, Verlag, Berlin 1981 – „ohne dich ist jede stadt eine wüste“, Gedichte, Damnitz, Neuss 1984 – „Reden die Sterne? Kindergedichte für Erwachsene“, Damnitz, Neuss 1985 – „Das vergessene Wachsen“, mit Fotos von Bernd Böhner, Art Direct, Erlangen 1989 – „Das Länderspiel“, Erzählungen, Heliopolis, Tübingen 1991 – „Mein Freund der Opabaum“, mit Illustr. von Irmgard Guhe, Boje, Erlangen 1991 – „Şirin wünscht sich einen Weihnachtsbaum“, Weihnachtsgeschichte in deutscher und türkischer Sprache, Maier, Ravensburg 1991 – „Metin macht Geschichten“, Boje, Erlangen 1994 – „wie wir kinder – çocukça. Kindergedichte für Erwachsene“, in deutscher und türkischer Sprache, Verlag der ev. Luth. Mission, Groß Oesingen 1996 – „Zaghaft meine Sehnsucht“, in deutscher und türkischer Sprache, Gedichte, Horlemann, Unkel 1997 – „babel zum trotz“, Foto-Textbuch, zus. mit Bernd Böhner, Horlemann, Unkel 2002 – „Ein gewöhnlicher Tag“, Erzählungen, Sardes, Erlangen, Oktober 2005 Veröffentlichungen in türkischer Sprache (Auswahl): – „Erlangen Siirleri“, Gedichte, Derinlik Yayinlari, Istanbul 1983 – „Adresinde Yoktur“, Kurzgeschichten, Dayanisma Yayinlari, Ankara 1985 – „Hamriyanim“, Roman, Remzi Kitabevi, Istanbul 1989, Can Yayinlari, Istanbul 2000 – „Uyusturucu Batagi (Der Drogensumpf)“, Untersuchung, Milliyet Yayinlari, Istanbul 1991 – „Gölge Kokusu“, Roman, Inkilap Kitabevi, Istanbul 1997, Can Yayinlari, Istanbul 2001 – „Cennetin Arka Bahçesi“, Roman, Can Yayinlari, Istanbul 2000 Theater (Auswahl): – „Etwas“, UA Theater in der Garage, Erlangen, Mai 2000 Sonntag, 28. August, 17 Uhr, Schlossgarten |
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