Kathrin Röggla wurde 1971 in Salzburg geboren, studierte dort Germanistik
und Publizistik und lebt seit 1992 in Berlin-Neukölln. Sie schreibt
Prosa, Hörspiele und Theatertexte und beteiligt sich an Inszenierungen
von Theaterstücken und Performances. 1995 wurde sie mit dem Reinhard-Priessnitz-Preis,
2000 mit dem Kolik-Literaturpreis und 2001 mit dem Sacher-Masoch-Preis
und dem Italo-Svevo-Preis ausgezeichnet.
Ihre Prosa ist der Tradition österreichischer Avantgarde verpflichtet,
wofür die Wiener Gruppe mit ihren Echos steht. Namen wie Friederike
Mayröcker, aber auch Hubert Fichte zählt sie zu ihren literarischen
Paten, Witold Gombrowicz und Alexander Kluge. Ihre Texte bauen sich aus
kleinen Einheiten, aus short cuts, zu einem größeren Gebilde
auf, das sich auch Roman nennen kann, jedoch auf die Wiedergabe
eines geschlossenen Kosmos aus Wirklichkeit verzichtet. Gerade an
jener Grenze, wo die sprachliche Verfassung der Medien und des Öffentlichkeitstalks,
die Sinnentleerung repräsentativer Wörter das Authentische brechen,
operiert Kathrin Röggla mit ihren Texten. Ihre Grundstruktur ist
musikalisch, vor allem die Rhythmen des Techno werden in ihren sprachlichen
Sequenzen spürbar, geben dem Großstadtparlando Hardbeats und
rasche Schnitte ein. Es entstehen Sprachspiele in der Prosa, die einen
ständigen Wechsel der Bewegung erzielen, um sich vor allem dem Slang
und den Idiolekten, der Syntax der Mündlichkeit, den Katarakten der
gesprochenen Wörter zu widmen.
Kathrin Röggla debütierte 1995 mit den Prosaminiaturen des Bandes
Niemand lacht rückwärts. In den Abschnitten des
Textes Abrauschen (1997), vorgeblich Reiseliteratur, geht
es um eine Fahrt von Berlin nach Salzburg, aus der Metropole heraus, wobei
der Ausgangsort wie ein Phantasma mit in der Bewegung ist und eine Rückkehr
nahe legt.
Die Prosastücke in Irres Wetter (2000) ergeben eine Ortsbestimmung
Berlins vom Rande her, aus den Codes und dem Slang der nichtschriftlichen
Verständigungen und Signale, ein Stadtporträt aus dem Hören-Sagen.
Es heißt darin: im prinzip tun wir nichts mehr als nachahmen
ja, nachahmen bis zum äußersten und bleiben dann doch
nur stecken in diesem kopiervorgang, stolpern über dies und das,
straucheln über eine falsche bewegung, eine falsche kombination.
Literatur ist in diesem Sinne immer auch ein Medium der Reflexion über
den Schein, die Suggestionen und Surrogate, denen die Einwohner des großen
Sprachspiels, genannt Großstadt, ausgesetzt sind.
Im vergangenen Herbst hielt sich Kathrin Röggla als Stipendiatin
in New York auf. Am Tag nach dem 11. September begann sie mit einer Folge
von Artikeln, die in der Presse erschienen. Daraus entstanden die 22 Kapitel
über ein Katastrophenereignis, das weitaus zu groß zu
sein scheint, um es integrieren zu können in eine vorhandene erlebnisstruktur.
Das Buch really ground zero stellt die Möglichkeit jeder
Authentizität in Frage, vertieft sich in diesen Ausnahmezustand der
Wahrnehmung, den das Attentat auf das World Trade Center ergab, surft
in den publizistischen Reaktionen und in den TV-Bildern. (W.F.Sch.)
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