Thomas Lang


   

Moritz Than ist wohl der rätselhafteste Fremdling, der je in der deutschen Gegenwartsliteratur aufgetaucht ist. Wer ihm in sein Refugium folgt, auf eine namenlose Insel in einem bayerischen See, riskiert es, sich in einem kalt funkelnden Labyrinth zu verirren. Moritz Than ist stumm, traumatisiert nach einem Unfall in einem Filmstudio, verlassen von seiner Freundin, eingebunkert in ein feindseliges Schweigen, gejagt von den Furien der Erinnerung. Von dem Moment an, wo der Romanheld den festen Boden der Insel betritt, wird dem Leser der Boden unter den Füßen hinweg gezogen. Denn diese unheimliche Idyllen-Welt der Insel ist von Geheimnissen umweht. „Der See ist voller Opferblut“, sagt hier ein Postbeamter. „Seit die ersten Menschen hier siedeln, müssen sie einen Blutzoll zahlen.“ Tatsächlich scheinen die Bewohner der Insel auf rätselhafte Weise mit dem Tod verbündet. In dieser Welt aus Eis, Kälte und Erstarrung versucht sich der stumme, isolierte Rekonvaleszent den Zumutungen der Existenz auszusetzen. Fatalistisch, monoton und lakonisch registriert er die Menschen und die Ereignisse in seiner Umgebung. Ein Junge ist auf der Insel ermordet worden, ein Mädchen beinahe im See ertrunken. Eines Nachts wird der Fremdling zusammengeschlagen, sein Kopf in eisiges Wasser getaucht. Oder legt sich Than selbst als „totes Kind“ unters Eis des zugefrorenen Sees? Allmählich beginnen Wahn und Wirklichkeit ineinander überzugehen, und Than beginnt sich in schizophrener Selbstentzweiung als Jäger und Gejagter zu halluzinieren. Man weiß nicht mehr, wer hier spricht: das Opfer der eigenen Halluzinationen, ein Mann im Fieberdelirium, ein verzweifelt Isolierter?
Das faszinierende Erzähldebüt des 1967 im oberbergischen Nürnbrecht geborenen Schriftstellers Thomas Lang lässt einen an die filmische Welt David Lynchs denken. Nach einem literaturwissenschaftlichen Studium in Frankfurt und einigen verstreuten Veröffentlichungen in Anthologien hat Thomas Lang, der derzeit in München lebt, einen Roman vorgelegt, der wie bei dem ihm wesensverwandten Autor Georg Klein in eine dunkle, phantastische Welt führt. „Es ist dieser neuartige Klang“, urteilte die Neue Zürcher Zeitung, „der das so stille wie beunruhigende, gänzlich unaktuelle Buch über die gefälligen Eintagsfliegen vieler gefeierter Zeitgeistautoren hinaushebt.“ Am Ende des Romans kommt Langs Held Moritz Than sich selbst und der Welt abhanden. „Ich will das Schweigen brechen“, lautet der letzte Satz des stummen Fremdlings, ein Satz, der ins Leere geht. Dieses tief verstörende Buch wird uns lange im Gedächtnis bleiben. (M.B.)

 

 

Veröffentlichung:
– „Than“, Roman, Wagenbach, Berlin 2002

 

 

Termin:
– Sonntag, 1. September 2002, 16.30, Schlossgarten

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