Erich Hackl


   

Die Liste seiner Auszeichnungen ist deutlich länger als die Liste seiner Werke. Vier Erzählungen, ein Märchen, ein Band Aufsätze und jetzt der erste Roman, „Die Hochzeit von Auschwitz“ – das ist Erich Hackls literarisches Werk, entstanden in den letzten fünfzehn Jahren. Seit seinem ersten Buch, der Erzählung „Auroras Anlaß“ (1987), wird Hackl mit Auszeichnungen und Preisen überhäuft, sogar drei Preise für sein Gesamtwerk hat der 48-Jährige bereits eingeheimst.
So viel öffentliche Anerkennung bei einem so schmalen Œuvre hat natürlich Gründe. Erich Hackl, der gebürtige Oberösterreicher aus der Industriearbeiterstadt Steyr, ausgebildeter Hispanist, Lehrbeauftragter an den Universitäten Madrid und Wien, Übersetzer, Journalist und Autor, hat von allem Anfang an seine Erzähl-Domäne anderswo gesucht und gefunden, als die literarischen Mode-Trends nahe gelegt hätten. Er hat seinen eigenen narrativen Stil der dokumentierten Zeitgeschichte entwickelt, der längst als unverwechselbar erkannt ist.
„Poetische Historiografie“ könnte man sein Erzählverfahren versuchsweise nennen. Immer geht Hackl von vorgefundenen zeitgeschichtlichen Lebensspuren aus – Briefen, Familienfotos, Zeitungsnotizen, Erzählungen von Angehörigen –, immer hält er sich an unscheinbare, aber authentische Lebensläufe, wie bruchstückhaft auch immer sie überliefert sein mögen. Mit großer Akribie und Beharrlichkeit recherchiert er das Fehlende hinzu und konstruiert auf der Grundlage der Dokumente ein Schicksal. Immer aber respektiert er die Rätselhaftigkeiten, die in den Lücken liegen, wo keine Recherche hinreicht und kein Fundstück vorhanden ist, das faktische Auskunft geben könnte.
In dieser schwebenden Rekonstruktion ferner und fremder Lebensläufe auf schwankender, lückenhafter Fakten-Basis liegt Erich Hackls Leistung der poetischen Verdichtung. So macht er aus vergessenen Opfern der Geschichte des 20. Jahrhunderts, aus Verfolgten, Gefolterten und Verschwundenen, beispielhafte Zeitzeugen – stille Helden und Heldinnen einer verlorenen, aber gerechten Sache.
Was Hackls Phantasie in Gang setzt, hängt meist irgendwie mit Steyr zusammen und mit Spanien, mit lauter gescheiterten politischen Schlachten, mit den verlorenen antifaschistischen Kämpfen der österreichischen und spanischen Linken gegen Hitler und Franco, ausnahmsweise auch einmal mit dem Widerstand der argentinischen Linken gegen das Folterregime der Militärs in den achtziger Jahren („Sara und Simón“, 1995).
Sein vergessenes Heldenpersonal rekrutiert sich zumeist aus sozialdemokratischen und kommunistischen Industriearbeitern der Steyr-Werke, die im Februaraufstand 1934, als Freiwillige im Spanischen Bürgerkrieg, im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gekämpft, gelitten und sich verschlissen haben; die in Spanien Kriegsbräute und Kinder hinterließen, die ihre verschwundenen Väter nie kennenlernen konnten („Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick“, 1999); die in Steyr vergeblich ein Zigeunermädchen vor dem Transport ins Vernichtungslager zu bewahren suchten („Abschied von Sidonie“, 1989); die im KZ den Widerstand organisierten, einen Ausbruch versuchten und hingerichtet wurden, wie in Hackls neuem Roman „Die Hochzeit von Auschwitz“.
Bewundernswert, wie Hackl seine Stoffe findet. Er muss ein guter Zuhörer, ein behutsamer Frager, ein glaubwürdiger und zuverlässiger Fährten- und Materialsammler sein. Seine Gesprächspartner, meist die Söhne und Töchter seiner Helden, vertrauen ihm ihre Familien-Souvenirs an, gewähren ihm Zugang zu den Andenken ihrer Eltern, erzählen ihm ihre traurigen, bruchstückhaften Erinnerungen. Was Erich Hackl dann daraus macht, sind lakonische, verschwiegene Texte, stille Heldenlieder einer vergessenen Zeitgeschichte. (S.L.)

 

 

Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Das Herz des Himmels. Vom Leiden der Indios in Guatemala“, Hrsg., Herder, Wien u.a. 1985
– „Geschichten aus der Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs“, Erzählungen und Berichte deutschsprachiger Autoren, hrsg. und eingeleitet von Erich Hackl, Luchterhand, Darmstadt u.a. 1986
– „Wien, Wien allein. Literarische Nahaufnahmen“, Hrsg., Luchterhand, Darmstadt u.a. 1987
– „Zugvögel seit jeher. Freude und Not spanischer Zigeuner“, Hrsg., Herder, Wien u.a. 1987
– „Auroras Anlaß“, Erzählung, Diogenes, Zürich 1987, Taschenbuch ebd. 1989
– „Abschied von Sidonie“, Erzählung, Diogenes, Zürich 1989, Taschenbuch ebd. 1991
– „König Wamba“, Märchen, Illustr. von Paul Flora, Diogenes, Zürich 1991, Taschenbuch ebd. 2000
– „Sara und Simón. Eine endlose Geschichte“, Diogenes, Zürich 1995, Taschenbuch ebd. 1997
– „In fester Umarmung“, Geschichten und Berichte, Diogenes, Zürich 1996
– „Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick“, Erzählung, Diogenes, Zürich 1999, Taschenbuch ebd. 2001
– „Die Hochzeit von Auschwitz. Eine Begebenheit“, Roman, Diogenes, Zürich, August 2002
Hörspiele:
– „Tode“, Regie: Klaus Mehrländer, WDR 1982
– „Erinnerungen an einen Aufstand“, ORF 1984
– „Blauer Winkel“, ORF 1985
– „Tod einer Wunschmaschine“, Regie: Hans-Gerd Krogmann und Uwe Schareck, ORF/WDR 1986
– „Kinderexil“, nach einer Erzählung von Mario Monteforte Toledo, Regie: Götz Fritsch, ORF 1987
– „Unser Amerika“, 5 Teile, ORF 1992
Filme:
– „Sidonie“, TV-Film, Drehbuch, Regie: Karin Brandauer, BR/ORF 1990
– „Kurzgefasster Brief von der Entdeckung, Besichtigung und freiwilligen Preisgabe der Stadt ‚Schleich-di’“, TV-Film, Drehbuch, Regie: E.A. Grandits, ORF 1992
Übersetzungen (Auswahl):
– Luis Fayad: „Auskunft über Esters Verwandte“, Roman, zus. mit Peter Schultze-Kraft, Lamuv, Bornheim-Merten 1987
– Eduardo Galeano: „Das Buch der Umarmungen“, Hammer, Wuppertal 1991
– Juan José Saer: „Die Gelegenheit“, Roman, Piper, München/Zürich 1992
– Idea Vilarino: „An Liebe“, Gedichte, zus. mit Peter Schultze-Kraft, Otto Müller-Verlag, Salzburg 1994
– Ana María Rodas: „Gedichte der erotischen Linken“, zus. mit Peter Schultze-Kraft, Otto Müller-Verlag, Salzburg 1995

 

 

Termin:
– Sonntag, 1. September 2002, 15.00, Schlossgarten

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