Liane Dirks


   

Die Geschichten, die Liane Dirks in ihren bisher drei Romanen erzählt, bewegen sich alle an einer Grenze, die man gerne mit „Tabu“ oder „Trauma“ kennzeichnet. Sie betritt Zonen äußerster Verletzlichkeit und tatsächlicher grausamer Verletzungen, doch – und das zeichnet Liane Dirks von Anfang aus – sie hat sich nie der Verführung zu Betroffenheit und falscher Authentizität anheim gegeben. Ihr erster Roman „Die liebe Angst“, der von der Liebe eines Mädchens zu ihrem Vater handelt, die böse missbraucht wird, findet eine eindringliche poetische Sprache, die in der besonderen Form das Erleben des Unsäglichen aufhebt. Die Sprache der Ich-Erzählerin löst biografische Nöte und Zwänge, und macht die Weltwahrnehmung eines Kindes spürbar, ohne dass der Ton selbst kindlich wird. Hier ist Poetisierung als Befreiung les- und also erlebbar.
Im zweiten Roman der heute in Köln lebenden Autorin Liane Dirks, mit dem Titel „Und die Liebe? frag ich sie“, hat sie, orientiert an einigen wesentlichen Lebens-Stationen der polnisch-jüdischen Schriftstellerin Krystyna Zywulska, deren turbulente Biografie erzählt, die aufs engste und grausamste mit der Unheilsgeschichte in der Mitte des 20. Jahrhunderts verbunden war. Immer ist da die Kraft der Liebe spürbar, die auch dann nicht versiegt, wenn die Praktiken der Entmenschlichung die Personen gewalttätig zu verzerren suchen. Liane Dirks’ Erzähl-Sprache findet zu einer Souveränität angesichts des Schlimmsten, die ohne Zynismus, ja weitgehend ohne Ironie auskommt.
Es ist eher eine mit stillem Humor gelockerte, auf Empirie neugierige, weltzugewandte Haltung, welche Leid und tiefe Stürze mit poetischer Distanzierung, klarem Blick und Zugang noch zum Rätselhaftesten ausbalanciert.
Diese Fähigkeit von Liane Dirks, Antwort zu geben auf unverständlich gewordene Fragen, ist immer noch zu wenig gewürdigt. Einen weiteren Beleg für ihre Meisterschaft im Umgang mit dem tiefen biografischen Schrecken, bietet ihr neuer Roman, dessen Titel schon die Souveränität der Erzählhaltung andeutet: „Vier Arten meinen Vater zu beerdigen“ heißt er. Und er bietet eine rasante Tour durch eine Familiengeschichte im 20. Jahrhundert, in deren Mittelpunkt ein immer wieder außer Kontrolle geratener sinnlich-verführter und verführender Unhold steht, dem sich die Erzählerin immer stärker annähert, bis sie selbst ihn schreibend erlöst.
Liane Dirks ist 1955 in Hamburg geboren, und lebt heute als Mutter zweier Töchter in Köln. Sie arbeitet als Journalistin und Schriftstellerin. Sie ist – neben ihrer Funktion als Moderatorin – nach 1998 (mit „Und die Liebe? frag ich sie“) zum zweiten Mal als Autorin zu Gast in Erlangen. (H.W.)

 

Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Die liebe Angst“, Roman, Hoffmann und Campe, Hamburg 1986, Taschenbuch Goldmann, München 1996
– „Die fremde Sicht“, in: Hubert Winkels (Hrsg.): „Aus. Mord-Stories“, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1986
– „Lebensläufe“, in: Alice Franck (Hrsg.): „30 unter 40. Junge Autoren von heute, die besten von morgen“, Rowohlt, Reinbek 1988
– „Liane Dirks an Ingeborg Bachmann“, in: Gabriele Kreis/Jutta Siegmund-Schultze (Hrsg.): „Es geht mir verflucht durch Kopf und Herz“, Hoffmann und Campe, Hamburg 1990
– „Mein Vater“, in: Christiane Gieselmann/Brigitte Jakobeit (Hrsg.): „Hau ab, sagte sie“, Luchterhand, Hamburg 1991
– „Grau“, in: Anna Dünnebier (Hrsg.): „Mein Genie“, Fischer, Frankfurt a.M. 1993
– „Der Sprung in die Professionalität“, in: Elisabeth Rothers-Ulrich/Ursula Theißen (Hrsg.): „Schriftstellerinnen im Gespräch“, Tende, Dülmen 1995
– „Und die Liebe? frag ich sie“, Roman, Ammann, Zürich 1998, Taschenbuch Lübbe, Bergisch-Gladbach 2000
– „Mein Freund Mordechai“, in: Regula Venske (Hrsg.): „Warum leben“, Scherz, Bern/München/Wien 2001
– „Vier Arten meinen Vater zu beerdigen“, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002

 

 

Termin:
– Sonntag, 1. September 2002, 15.30, Schlossgarten

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