Mariana Leky
Selma ist die Großmutter der Ich-Erzählerin Luise und das Herzstück des Romans „Was man von hier aus sehen kann“. Mariana Leky spiegelt die Ruhe der kleinen Welt an der Unruhe der großen Welt. Die einen fliehen vor der Naivität des Westerwalder Dorfs, in dem jeder jeden kennt, in die Anonymität. Einer geht nach Japan ins buddhistische Kloster, ein anderer reist von Süden nach Norden, von Ost nach West. Die anderen bleiben zu Hause. Aber jeder sucht etwas. Ruhe oder Liebe oder beides. Keiner wagt, seine Sehnsucht nach Liebe auszusprechen, und ist deshalb unterwegs, schreibt täglich Briefe, ohne sie abzuschicken, reist zurück, klopft an die Tür, steht im Flur, bekommt den entscheidenden Satz nicht über die Lippen. Und reist wieder weg.
Wieviel Welt halten wir aus? In Mariana Lekys drittem Roman schauen die Bewohner des Dorfs die rechte Straßenseite rauf und die linke wieder runter. Dann wissen sie alles. Sie reden nicht über Geld und Karriere, über Handys und digitalen Müll, sie sprechen über Träume. Wenn Selma im Traum ein Okapi sieht, wird jemand im Dorf sterben. So einfach der Aberglaube und so schrecklich für alle, die abergläubisch sind.
Kann man Klugheit so verstecken, dass sie niemand bemerkt? Mariana Leky kann das. Im leichten Ton, der alles Komplizierte so beschreibt, dass es kompliziert bleibt, aber nicht so klingt, führt die Autorin eine Welt vor, die aus dem Märchen zu sein scheint, jedoch voller irdischer, sehr realer Katastrophen steckt. Mariana Leky unterwandert mit Leichtigkeit, Charme und antikapitalistischer Grundeinstellung den Alltag der Dorfbewohner und zeigt nebenbei, wie es sein könnte, wenn sich der eine für den anderen verantwortlich fühlen würde. Ein Buch, das aus der Zeit fällt, Balsam ist für ausgelaugte Städter. (V. A.)
Auszeichnungen u. a.: Stipendium Internationales Künstlerhaus Villa Concordia, Bamberg (2002/03), Förderpreis für junge Künstlerinnen und Künstler des Landes NRW (2005).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Liebesperlen“, Erzählungen, DuMont, Köln 2001
– „Erste Hilfe“, Roman, DuMont, Köln 2004
– „Die Herrenausstatterin“, Roman, DuMont, Köln 2010
– „Bis der Arzt kommt. Geschichten aus der Sprechstunde“, DuMont, Köln 2013
– „Was man von hier aus sehen kann“, Roman, DuMont, Köln 2017