37. Erlanger Poetenfest — 24. bis 27. August 2017
Nebenpodium im Schlossgarten. Moritz Rinke im Gespräch mit Verena Auffermann – Foto: Erich Malter, 2006

Veranstaltung


Autorenporträt: Michael Köhlmeier
Lesung und Gespräch mit Verena Auffermann

Wissen Sie, was die Wahrheit ist?

Der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier hat so viele Talente, wo soll man beginnen? Beim Erzähler, Rezitator, Sänger, Denker, Autor gewichtiger Romane und Novellen? Zuerst studierte der 1949 geborene Vorarlberger in Marburg Politik, Germanistik und Mathematik. Ein langer Weg bis zum Epochenroman „Abendland“, den der Autor selbst sein „Lieblingsbuch“ nennt, und der 2007 beim Erlanger Poetenfest vorgestellt wurde. Da aber jede Erzählung einen Zuhörer braucht, erfand Köhlmeier Sebastian Lukasser. Ein Alter Ego wandelnden Alters. Im „Abendland“ ist er zweiundfünfzig Jahre und in den Büchern, in denen Sebastian Lukasser auftritt, ist er der perfekte, im Hintergrund bleibende Zuhörer, freilich einer, der dazu da ist, die ganze Geschichte aufzuschreiben.
Was ist sein Thema, was hat Köhlmeier von seinem Vorbild Homer, was aus der Bibel gelernt? Die Frage nach der Wahrheit. Als Schriftsteller und professioneller und leidenschaftlich Täuschender kennt er die Wahrheit und ihr Gegenteil. Also ist der, den man belügt und der, der lügt, ein- und dieselbe Person? Antworten wir mit Joel Spazierer – Köhlmeiers fragwürdiger Hauptperson des Romans „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ (2013). Joels Lieblingsrefrain lautet: „Ja – nein – weiß nicht“. „Ich sage nie die Wahrheit,“ heißt es, „wenn ich etwas erzähle. Ich schwöre, ich habe nicht die Wahrheit gesagt und nichts als nicht die Wahrheit, so wahr mir Gott helfe. Wie soll einer beweisen, dass er nicht die Wahrheit sagt“. Und was sagt dieser Joel Spazierer noch? „Ich hatte nie den Ehrgeiz, ein guter Mensch zu werden.“
Und jetzt das. Michael Köhlmeier hat sich mit dem Heiligen Antonius beschäftigt und ihm eine Novelle gewidmet, die kürzlich unter dem Titel „Der Mann, der Verlorenes wiederfindet“ erschienen ist. Dort verwandelt Köhlmeier den Volksheiligen, der in Padua verehrt wird, in einen Intellektuellen, einen Zweifler und Prediger. 3.000 Menschen hör­ten dem um 1193 in Lissabon geboren Mann aus einer portugiesischen Adelsfamilie zu. Köhlmeier interessieren aber nicht die Wunder, die Antonius vielleicht auch bewirkt hat, ihn interessiert dessen Denken. Köhlmeier legt den schwerkranken Mönch am letzten Tag seines irdischen Daseins auf eine Bahre auf den Marktplatz von Arcella bei Padua und hört seinen Gedanken zu. Sie umkreisen den Großvater, auch die Frau, die er einst liebte, sie umkreisen Gott, seine eigene Rolle als Prediger und das Leben der Menschen während ihrer Zeit auf der Erde. Es ist so, als würde Köhlmeier jenem furchterregenden Joel Spazierer ein sehr kluges und passendes Buch als Denkschrift unter das Kopfkissen legen.
Homer hat die Geschichte des Trojanischen Kriegs frei erfunden, Michael Köhlmeier benutzte eine reale Geschichte, um eine irreale Geschichte zu erzählen, denn die „Zwei Herren am Strand“ (2014) müssen noch erwähnt werden, ein Gespräch zwischen Charly Chaplin und Wins­ton Churchill. Und was hat den Autor Michael Köhlmeier daran interessiert? Zwei große, das 20. Jahrhundert bestimmende Karrieren? Ja, auch, aber im Zentrum steht die Melancholie beider berühmter Männer, der auch eine Frage nach der Lebenswahrheit innewohnt. Kaum ein Mensch, der sie nicht kennt. Durch die Geschichte vom Heiligen Antonius, dem „Mann, der Verlorenes wiederfindet“ weht sie auch.
Verena Auffermann

aktuell: Der Mann, der Verlorenes wiederfindet. Novelle. Hanser. München, Jul 2017

Sonntag, 27. August, 20:00 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: von 5,– / erm. 3,50 bis 10,– / erm. 8,50 Euro

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