Veranstaltung
Die Revue der Neuerscheinungen I
Lesungen und Gespräche mit Ferdinand Schmalz, Kenah Cusanit, Fatma Aydemir, Theresia Enzensberger, Oswald Egger, Jonas Lüscher, Julia Wolf, Ulrich Koch, Kathrin Groß-Striffler, Frank Witzel
14:00 Uhr Ferdinand Schmalz
mein lieblingstier heißt winter. Erzählung. – Ingeborg-Bachmann-Preis 2017 (41. Tage der deutschsprachigen Literatur Klagenfurt 2017)
14:30 Uhr Kenah Cusanit
Chronographe Chorologien I. Lyrik. Hochroth. Berlin, Jan 2017
15:00 Uhr Fatma Aydemir
Ellbogen. Roman. Hanser. München, Jan 2017
15:30 Uhr Theresia Enzensberger
Blaupause. Roman. Hanser. München, Jul 2017
16:00 Uhr Oswald Egger
Val di Non. Suhrkamp. Berlin, Jun 2017
16:30 Uhr Jonas Lüscher
Kraft. Roman. C. H. Beck, München 2017
17:00 Uhr Julia Wolf
Walter Nowak bleibt liegen. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt 2017
17:30 Uhr Ulrich Koch
Selbst in hoher Auflösung. Gedichte. Jung & Jung. Salzburg, 8. Sep 2017
18:00 Uhr Kathrin Groß-Striffler
Eine Tasse Tee. Erzählungen. Mitteldt. Verlag. Halle, Mai 2017
18:30 Uhr Frank Witzel
Direkt danach und kurz davor. Roman. Matthes & Seitz. Berlin, 1. Sep 2017
Moderation Hauptpodium: Hajo Steinert
Gespräche Nebenpodien: Verena Auffermann, Michael Braun, Dirk Kruse, Hajo Steinert, Florian Felix Weyh
Schlossgarten: FM-Anlage für Schwerhörige – Ausleihe an der Information
Wilde Jahre, wüste Geschichten!
In diesem Jahr feiern wir, vielleicht weltoffener denn je, ein Poetenfest der Erkundungen und Nachforschungen. Das Subjektive mit dem Erfahrungshunger der Allgemeinheit zu verbinden – das ist der vornehme Anspruch derjenigen, die Geschichten erzählen können, die über das mündliche Talent hinausweisen, denen ein Kunstgriff eigen ist, ein literarisches Formbewusstsein. Was ist es, das den Einzelnen dahin gebracht hat, wie und wo er heute lebt? Unter welchen historischen Umständen konnte er sich zu dem und zu der entwickeln, der er oder die sie heute ist oder zumindest glaubt zu sein? Man könnte auch sagen: So viel Geschichte wie in diesem Sommer hat die Gegenwart der deutschen Literatur schon lange nicht mehr zutage gefördert.
Die Lyrikerin und Erzählerin Ulla Hahn hat die Recherche nach ihrer nie vergessenen Zeit zu Ende geschrieben. Es sind die wilden politischen Jahre zwischen 1968 und der deutschen Einheit, denen sie in ihrem persönlichen Bildungsroman „Wir werden erwartet“ über eine äußerst turbulente Phase in der Geschichte der alten Bundesrepublik ein Denkmal setzt (Sa, 16:30 Uhr).
Oder diese Geschichte: Ein Dozent und Dokumentarfilmer will sehen, welche Entwicklung eine seiner Studentinnen genommen hat und besucht ihre Vernissage. An einem einzigen Sommertag im Jahre 2011 spielt der neue Roman „Schlafende Sonne“ von Thomas Lehr. Aber er handelt von historischen wie privaten Katastrophen eines ganzen Jahrhunderts, von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs bis ins heutige Berlin (So, 17 Uhr).
Ein wahrhaft apokalyptisches Szenario verspricht der neue Roman von Frank Witzel. Nach seinem wüsten, 2015 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Opus Magnum „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ reißt uns sein Erzählstrom in „Direkt danach und kurz davor“ geradezu lawinenartig mit in die deutsche Nachkriegszeit. Ein Waisenhaus brennt, Flugzeuge stürzen ab, Züge entgleisen, Kinderkörper verschwinden. Und doch erscheint ein Zufluchtsort am düsteren Horizont ... (Sa, 18:30 Uhr).
Herr Müller in Elmar Tannerts Roman „Ein Satz an Herrn Müller“ ist Gestalter von Wohnräumen und Erfüller von Wohnträumen. An dem Schriftsteller jedoch, der ihm in einem gigantischen Monolog, einem einzigen langen Satz, seine Ansprüche schildert, kann Herr Müller nur scheitern. Denn als Wohnungsflüchter erfährt dieser Schriftsteller gerade an anderen Orten Inspiration und Hingabe an den Schaffensprozess (So, 15 Uhr).
Was Recht ist, was Unrecht, wer Recht hat und wer nicht, wo Gerechtigkeit anfängt und wo sie aufhört – das sind Fragen, die jeden Menschen bewegen. Petra Morsbach erzählt in ihrem neuen Roman „Justizpalast“ aus dem stressigen Arbeits- und Privatleben einer fiktiven Richterin und entwickelt so ein zutiefst menschliches Psychogramm eines Berufsstandes, der den meisten Menschen ein Buch mit sieben Siegeln ist (So, 14:30 Uhr).
Was wäre das Poetenfest ohne literarische Debüts? Theresia Enzensberger erzählt in ihrem ersten, schon vor seinem Erscheinen Aufsehen erregenden Roman „Blaupause“ die Geschichte einer wahren Liebe: Es ist ein faszinierendes Kapitel der Kunstgeschichte, das sie nicht loslässt. Der Roman ist eine leidenschaftliche Liebeserklärung an die Epoche der Bauhaus-Ära in einem Jahrhundert, in dem die Entwicklung von Kunst, Architektur, Technik und politischen Utopien rasante und kämpferische Züge annahm (Sa, 15:30 Uhr).
Die Zwillinge Alissa und Anton waren unzertrennlich, als sie noch in Moskau im Kinderbett lagen. Nach der Flucht in die westdeutsche Provinz und verwegenen Versuchen, sich in der neuen Welt zurechtzufinden, trennen sich ihre Lebenswege. Alissa will Boxerin werden, Anton verschwindet in die Türkei. Werden die beiden sich wiederfinden? „Außer sich“ ist ein turbulentes Romandebüt von Sasha Marianna Salzmann über den Versuch, ohne Grenzen zu leben (So, 17:30 Uhr).
Die Grenze zwischen der Türkei und Deutschland, ein Leben zwischen den Kulturen, Religionen und Nationen, eine siebzehnjährige Frau – Tochter von türkischen Einwanderern in Berlin – auf der Flucht vor der deutschen Polizei: Das sind Motive, denen der starke Debütroman „Ellbogen“ von Fatma Aydemir seinen Antrieb verdankt (Sa, 15 Uhr).
Ein weiteres literarisches Debüt, das von den Folgen der Orientierung in einer neuen Heimat handelt, legt Emilia Smechowski vor. „Wir Strebermigranten“ erzählt die bewegende Geschichte einer Familie, die in den achtziger Jahren aus Polen nach Westberlin ausgewandert ist. Die verzweifelten, verbissenen, anrührenden, mitunter auch komischen Bemühungen um Eingliederung in den deutschen Alltag verändern den Blick derer auf unser Land, die vor lauter Gewohnheit das Naheliegende nicht mehr erkennen (So, 13:30 Uhr).
Nicht nur von „dem“ Wendepunkt des Lebens, sondern von Wendepunkten der unterschiedlichsten Art erzählt Kathrin Groß-Striffler in ihren Erzählungen mit dem Titel „Eine Tasse Tee“. Was nach englischer Vornehmheit klingt, entpuppt sich beim Lesen als tiefschürfendes Herantasten an Überlebensmöglichkeiten, nach Erfahrungen von Enttäuschung, Einsamkeit, Angst. Keine Betroffenheitsliteratur, kein psychologischer Ratgeber – es sind die literarischen Stilmittel, die den Subjektivismus ihrer Schreibkunst begründen (Sa, 18 Uhr).
Auch wenn sie nicht mit Füller geschrieben, sondern als Mails auf den Weg gebracht werden, stehen die emotionalen Briefe zweier Frauen durchaus in romantischer Tradition. Márta und Johanna, beide Anfang vierzig, teilen in Zsuzsa Bánks Briefroman „Schlafen werden wir später“ alles: ihre Vergangenheiten, Nöte, Sorgen, Ängste und Hoffnungen. Ein Plädoyer für Freundschaft in herzlosen Zeiten (So, 16 Uhr).
Der Trotz und die Täuschung der romantischen Liebe sind seit jeher Motive im Werk von Annette Mingels. In ihrem Roman „Was alles war“ erzählt sie von der Liebe unter ungewöhnlichen Vorzeichen. Von Adoptiveltern liebevoll aufgezogen, lernt Susa eines Tages ihre leibliche Mutter kennen und erfährt, dass sie Brüder hat. Ein vielstimmig und virtuos erzählter Roman über die Utopie eines intakten Familienlebens (So, 18 Uhr).
Wie die Liebe, vorhersehbar und unvorhersehbar, wundersam und unwägbar wie sie ist, widrigsten Bedingungen trotzen kann, davon erzählt Mariana Leky in ihrem Roman „Was man von hier aus sehen kann“. Was tun, wenn der Mann, den die Frau liebt, zum Buddhismus konvertiert ist und tausende Kilometer entfernt in einem Kloster lebt? Nachreisen? (Sa, 17 Uhr)
Etliche Kilometer entfernt und etliche Jahre hinter uns liegt das Geschehen im jüngsten Roman „Das Floß der Medusa“ des literarischen Weltumseglers Franzobel. Es geschah am 18. Juli 1816. Vor der Westküste Afrikas entdeckt der Kapitän der Argus ein Floß mit fünfzehn von ursprünglich 147 jammervollen Gestalten, die den Untergang ihrer Fregatte überlebt haben. Ein Abenteuerroman, ein barockes Weltgemälde, so drastisch und pittoresk, wie es in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur kaum noch gewagt wird (So, 15:30 Uhr).
Auch in diesem Jahr stellen wir, wie einst schon Franzobel, als dieser in Klagenfurt gewonnen hatte, den aktuellen Ingeborg-Bachmann-Preisträger vor. Es ist der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz. Seine obskure, von allerlei bizarren Einfällen begleitete Geschichte vom Plan des Suizids eines krebskranken Mannes hat Kritik und Publikum am Wörther See begeistert. Warum soll sich die Begeisterung für „mein lieblingstier heißt winter“ nicht auch auf die Festivalbesucher im Schlossgarten übertragen? (Sa, 14 Uhr)
Hajo Steinert
Auf die erdabgewandte Seite der Geschichte führen uns Ulrich Kochs Gedichte, hin zur kleinen Welt der Buswartehäuschen, Pendlerzüge, Vorgärten, Turnhallen, Baggerseen und zum „Nachtlicht der Telefonzelle in der leeren Ortsmitte“. In seinem neuen kunstvollen Gedichtbuch „Selbst in hoher Auflösung“ hat Koch nun „elementare Gedichte“ veröffentlicht (Sa, 17:30 Uhr).
Die Dichterin, Philologin und Anthropologin Kenah Cusanit hingegen thematisiert in ihrem jüngsten Gedichtbuch „Chronographe Chorologien I“ die Menschheitsgeschichte als eine polyphone Geschichte von Ein- und Auswanderungen, von Flüchtlings- und Wanderungsbewegungen. Jedes Gedicht ist hier einer Jahreszahl oder einem bestimmten historischen Zeitraum zugeordnet, dabei springen die Texte zwischen den Zeitaltern und Epochen hin und her (Sa, 14:30 Uhr).
Auf der Raketenstation Hombroich lebt der 1963 in Lana, Südtirol, geborene und vielfach ausgezeichnete Dichter und Sprachmystiker Oswald Egger. Sein jüngstes Opus, die poetische Schöpfungsgeschichte „Val di Non“, ist ein Gesamtkunstwerk, in dem sich das Eggersche Textgeflecht mit zarten Illustrationen, surrealen Zeichnungen und diversen Einschüben und Annotationen verbindet (Sa, 16 Uhr).
Die Chemie als „Stoffveränderungskunst“, so hat einst der Frühromantiker Friedrich von Hardenberg behauptet, sei die Grundlagenwissenschaft der Dichtung. Steffen Popp hat sich von diesem frühromantischen „Elektrochemiebaukasten“ inspirieren lassen. In seinem Gedichtband „118“, der in diesem Jahr für den Leipziger Buchpreis nominiert war, hat er die 118 bekannten chemischen Elemente zum Ausgangspunkt einer abenteuerlichen Sprachexpedition gemacht (So, 14 Uhr).
Ein Gedicht und ein Computerspiel – sind das wesensverwandte Genres? Der Dichter Christian Schloyer wagt ein unerhörtes Experiment: In seinem offenen, sich in viele Richtungen verzweigenden Gedicht „Jump ‘N‘ Run“ gestaltet er die Bewegung des Textes und der Bildregister wie in einem Computerspiel, die einzelnen Wörter und Bildkombinationen sind über Treppen und Leitern verbunden. Der Leser hat damit die Möglichkeit, von Ebene zu Ebene zu springen, bis er in seinem individuellen Prozess des Lesens das nächste Level erreicht (So, 16:30 Uhr).
Michael Braun
Samstag, 26. August, 14:00 bis 19:30 Uhr, Schlossgarten, Hauptpodium
Eintritt frei!