37. Erlanger Poetenfest — 24. bis 27. August 2017
Nebenpodium im Schlossgarten. Moritz Rinke im Gespräch mit Verena Auffermann – Foto: Erich Malter, 2006

Veranstaltung


Porträt International: Marie NDiaye
Lesung und Gespräch mit Barbara Wahlster

Eine Chiffre für das Fremdsein

Sie ist als Tochter von Landarbeitern aufgewachsen. Mit vierzehn Jahren verließ die Chefin in Marie NDiayes soeben erschienenem Roman die Schule und arbeitete als Küchenhilfe. In den Sommerferien muss sie die Köchin vertreten, da ist sie gerade einmal sechzehn Jahre alt. Zum ersten Mal erlebt sie die schöpferische Kraft, die in ihr steckt. „Wie habe ich nur eine solche Glanzleistung vollbringen können?“ Später wird sie ein eigenes Restaurant eröffnen und eine berühmte Sterne-Köchin ...
Ein Roman über das Kochen? Die Französin Marie NDiaye wäre nicht eine der klügsten Schriftstellerinnen ihrer Generation, hätte sie nicht in ihrem Roman „Die Chefin“ das Kochen mit essenziellen Fragen des Lebens und der Kunst verbunden. Kann eine Frau, die sich bedingungslos einer Berufung verschrieben hat, gleichzeitig eine Liebende sein, eine Familie gründen, ein Kind erziehen? Muss die bedingungslose Hingabe an die Kunst – die das Kochen in Frankreich zweifellos ist – mit der Preisgabe des Frauseins bezahlt werden? Ist die obsessive Hinwendung zu einem Beruf nur durch Selbstaufgabe zu erreichen, egal ob bei Mann oder Frau?
Als „ungewöhnlichste Schriftstellerin Frankreichs“ wurde Marie NDiaye von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bezeichnet. Ungewöhnlich ist sie in vielerlei Hinsicht: Bereits mit 17 Jahren veröffentlichte sie ihren Debütroman über die Revolte eines jungen Mannes gegen die Niedrigkeit der Welt. Zwei Jahre später erschien die in einem einzigen Satz geschriebene Erzählung „Comédie classique“. Ihren internationalen Durchbruch erlebte sie 2001 mit dem Roman „Rosie Carpe“, der den „Prix Fémina“ erhielt. Für „Drei starke Frauen“ wurde Marie NDiaye 2009 mit dem bedeutendsten französischen Literaturpreis, dem Prix Goncourt, ausge­zeichnet. Der auch in Deutschland vielbeachtete Roman verbindet auf virtuose Weise die Lebensgeschichte dreier Frauen im Spannungsfeld zwischen Afrika und Frankreich. Für die Schönheit „ihrer unverstellten und melodiösen Stimme“ (Die Zeit), gebe es „in der deutschen Gegenwartsliteratur im Moment keinen Vergleich“.
Marie NDiaye wurde 1967 in Pithiviers bei Orléans als Tochter eines senegalesischen Ingenieurs und einer französischen Lehrerin geboren. Bald nach ihrer Geburt trennten sich die Eltern. Zusammen mit ihrem älteren Bruder wuchs sie in der Nähe von Paris bei ihrer Mutter auf. Erst mit elf Jahren lernte sie ihren Vater kennen. „Ich habe einen afrikanischen Namen und schwarze Haut, aber ich fühle mich zu hundert Prozent als Französin. Erst, als mein Schreiben reifer wurde, habe ich gewagt, Afrika ins Spiel zu bringen, ein imaginäres Afrika wohlgemerkt, denn im realen Afrika bin ich erst zweimal im Leben gewesen. Das afrikanische Lebensgefühl kenne ich nur durch Bücher und Filme.“ Eine Chiffre für das Fremdsein sei Afrika für sie, sagte NDiaye in einem Interview mit Iris Radisch, „als Künstler, als Schriftstellerin fühlt man sich auch fremd in unseren Gesellschaften, man ist kein normaler Mensch. Selbst wenn diese Fremdheit des Künstlers anerkannt ist, wenn man Erfolg hat, geht sie nicht weg“. Als Nicolas Sarkozy zum französischen Präsidenten gewählt wurde, fühlte sie sich auch in Frankreich fremd. Aus Protest gegen seine Einwanderungspolitik, die sie als „monströs“ bezeichnete, verließ sie ihre Heimat und lebt heute mit ihrer Familie in Berlin.
„Kompositionen von einer zarten, so schlichten und strengen Schönheit, dass sie dem Blick nur auffielen, wenn dieser offen und zu derartiger Verzückung bereit war, wenn er es wünschte“, heißt es über die Speisen der Chefin. „Damit sind auch die Prosa Marie NDiayes und deren unaufdringliche Brillanz perfekt beschrieben.“ (Claudia Voigt, Der Spiegel)

aktuell: Die Chefin. Roman. Suhrkamp. Berlin, 7. Aug 2017

Samstag, 26. August, 20:30 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: von 5,– / erm 3,50 bis 10,– / erm. 8,50 Euro

« zurück