Katja Lange-Müller
Katja Lange-Müller liebt die Sprache, die Menschen, die Tiere und die Pflanzen und absurde Situationen. Das Absurde kann sich in der Umkleidekabine, beim Pilzesuchen oder zwischen den Trennwänden einer „Drehtür“ ereignen. Asta Arnold, die Hauptfigur des aktuellen Romans von Katja Lange-Müller, ist Krankenschwester im Rentenalter. Ihre letzte Station war eine Klinik in Nicaragua. Dort wollte man sie nicht mehr, sie störte, machte Fehler und wurde heimgeschickt. Jetzt steht Asta am Münchner Flughafen und weiß nicht, welches Leben eigentlich hinter ihr und welches vor ihr liegt. Es ist die „Drehtür“, die all die Bilder ihrer Existenz trennt und ineinander verschwimmen lässt.
Asta sucht nach Orientierung. Heimgekehrt ohne sich so zu fühlen, sucht sie ihre „Muttersprache“ und einen Menschen. Sie findet den Koch eines China-Restaurants, eine arme, schluchzende Kreatur. Wird das „Mitleid“, an dem Asta seit 50 Jahren leidet, sie wieder aufs Glatteis führen? „Ach ja, helfen, denkt Asta, das war schön – am Anfang. Und später?“ Unbeabsichtigt steht Katja Lange-Müllers neues Buch mitten in der Flüchtlingssolidaritätsdebatte.
Asta wurde, wie Katja Lange-Müller, in der DDR geboren. In „Drehtür“ treffen sich Erinnerung an ihre Kindheit, Jugend und die Berufsjahre im Ausland. Erinnerungen blitzen auf an ihre Che Guevara verfallene und als Agentin in Bolivien spionierende Freundin Tamara. Groteske Erlebnisse, die davon handeln, wie eiskalte Personen ihre Hilfsbereitschaft ausnutzen, auch die Männer, auf die Asta trifft, nehmen was sie brauchen und verduften. Katja Lange-Müllers erzählerische Bravur deutet in „Drehtür“ auf eine Welt, in der das Gute missachtet und als Naivität verlacht wird. Es ist ein Roman über scheiternde Liebesbeziehungen, die gescheiterte DDR und über eine Frau, die durch ihre Existenz getrieben ist, ohne anzukommen. Ernst, traurig und sehr nachdenkenswert. (V. A.)
Auszeichnungen u. a.: Ingeborg-Bachmann-Preis (1986), Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim (1989/90), New-York-Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1990), Alfred-Döblin-Preis (1995), Berliner Literaturpreis (1996), SWR-Literaturpreis (2001), Stadtschreiberin von Mainz, Roswitha-Preis (2002), Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2005), Preis der LiteraTour Nord, Wilhelm-Raabe-Preis (2008), Calwer Hermann-Hesse-Stipendium (2009), Stipendium Villa Massimo, Rom (2012), Kleist-Preis (2013).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Wehleid – Wie im Leben“, Erzählungen, S. Fischer, Frankfurt a. M. 1986
– „Kasper Mauser – Die Feigheit vorm Freund“, Erzählung, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1988
– „Verfrühte Tierliebe“, Erzählungen, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995
– „Die Letzten. Aufzeichnungen aus Udo Posbichs Druckerei“, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000
– „Vom Fisch bespuckt. Neue Erzählungen von 37 deutschsprachigen Autorinnen und Autoren“, Hrsg., Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002
– „Die Enten, die Frauen und die Wahrheit“, Erzählungen, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003
– „Stabile Seitenlage. Zwei Erzählungen“, Keicher, Leonberg 2005
– „Böse Schafe“, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007
– „Drehtür“, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln, August 2016
Sa, 27.8., 15 Uhr, Schlossgarten