Veranstaltung
Porträt International: Aris Fioretos
Zwischen Ländern und Wirklichkeiten
Lesung und Gespräch mit Maike Albath
Aris Fioretos ist ein schwedischer Schriftsteller – er hat einen griechischen Vater, eine österreichische Mutter und eine Biografie, die zwischen mehreren Ländern und Wirklichkeiten ihre Fäden spinnt. 1960 in Göteborg geboren, wuchs er in Schweden auf, studierte in den USA, war als Kulturattaché der Schwedischen Botschaft in Berlin beheimatet und ist mittlerweile Professor für Literaturwissenschaften in Stockholm. Seine Romane speisen sich aus unterschiedlichen Kraftzentren, und Griechenland bildet dabei immer wieder den Fluchtpunkt. In dem anrührenden Totengesang auf seinen Vater „Die halbe Sonne“ (2013) hatte er die Geschichte des nach Schweden emigrierten Arztes mit einem Blick auf eine Streichholzschachtel begonnen. Der Sohn steht in der Kapelle eines Bestattungsunternehmens am Sarg und betrachtet ein Schächtelchen, auf dem in einer Ecke eine apfelsinenartige Sonne abgebildet ist: „Ursprung und Ziel“, heißt es, denn die aufgeschnittene Frucht war für den Vater, der immer Heimweh hatte und erst nach dem Ende der Militärdiktatur nach Griechenland zurückkehren konnte, eine „halbe Sonne“. Auch der Ikarus-Mythos schwingt mit. Vermeintlich unsortierte Gedanken wechseln mit Erinnerungssplittern, Listen, nüchternen Aufzählungen und kleinen Porträts. Die Figur des aufbrausenden „Pinien-Patriarchen“, der ein bedrückendes Geheimnis in sich zu tragen scheint, wird behutsam umkreist, bis sich die mal diskrete, präzise beobachtende, mal fabulierende Erzählerstimme an die eigene Geburt herantastet.
Eine schillernde Mischung aus Theorie, Bezügen auf die literarische Moderne und verblüffenden Einfällen hatte schon Fioretos‘ Debüt „Die Seelensucherin“ (2000) geboten: Eine junge Frau bricht im Winter 1925 von Berlin nach Stockholm auf, um nach ihrem verschwundenen Vater zu suchen, den sie nur ein einziges Mal erlebt hat. In dem wie ein Schwarz-Weiß-Film inszenierten Roman wird Tableau an Tableau gereiht. Es geht um die Suche nach Erkenntnis und den Beginn der Moderne, und mitten im Stockholmer Schneegestöber landet man in einem medizinhistorischen Krimi. Neben Romanen wie „Die Wahrheit über Sascha Knisch“ über changierende Geschlechterrollen veröffentlichte Aris Fioretos auch Essays mit poetologischen Reflexionen. Wiederum eine Emigrationsgeschichte stand im Mittelpunkt des grandiosen Romans „Der letzte Grieche“ (2011), in dem die Koordinaten dessen, was wann wo geschieht, immer wieder durcheinander wirbeln und gleichzeitig eine leichtfüßige Epopöe über das europäische 20. Jahrhundert entsteht. Mit vielen ästhetischen Brechungen wird von der Vertreibung der Griechen aus Smyrna 1922 ebenso erzählt, wie von der Militärdiktatur und der Auswanderung nach Schweden. „Die Liebe ist ein Kompass, und der Rest ist Nationalismus“, heißt es einmal, und diese Feststellung scheint schon vorauszuweisen auf Fioretos jüngstes Werk.
„Mary“ lautet der Titel des aktuellen Romans von Aris Fioretos, der in Kürze erscheint. Mary ist der Name der Ich-Erzählerin, nicht ihr tatsächlicher, sondern der, den ihr Freund Dimos ihr gegeben hat. Schauplatz ist wieder Griechenland, und wieder spielt die Phase der Militärdiktatur eine Rolle. Mary schließt an einem Novembertag im Jahr 1973 Dimos‘ Wohnung, und weiß nicht, dass es das letzte Mal ist. Plötzlich muss sie sich entscheiden: Will sie ihren Freund schützen oder das ungeborene gemeinsame Kind? Mit großer erzählerischer Kraft und formaler Eleganz markiert Aris Fioretos einen weiteren Punkt in seinem weit gespannten Kosmos. (Maike Albath)
aktuell: Mary. Roman. Übersetzung aus dem Schwedischen: Paul Berf. Hanser. München, 22. Aug 2016
Sonntag, 28. August, 20:00 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: von 5,00 / erm. 3,50 bis 10,00 / erm. 8,50 Euro