Veranstaltung
Autorenporträt: Ilija Trojanow
Entschlossen, die Welt zu erkennen
Lesung und Gespräch mit Andreas Platthaus
Man müsste Hellseher sein! Oder Ilija Trojanow selbst fragen, womit er sich im kommenden Jahr beschäftigen, wo er leben, welche Sprache er dann sprechen wird. Vielleicht weiß er es aber selbst noch nicht, welches Thema ihn so fordern wird, dass daraus ein neues Buch entsteht. Ilija Trojanows Projekte, die von der Politik in Diktaturen, über das Leben des Abenteurers und Forschers Richard Francis Burton bis zum Überwachungsstaat, von der Umweltproblematik des „Entfesselten Globus“ bis zur eigenen Erprobung in den 80 olympischen Disziplinen reichen, von denen er in seinem jüngsten Buch „Meine Olympiade“ erzählt, sind nicht vorherzusagen.
Vielleicht ist das Leben und Wirken des 1965 in Sofia geborenen Sohnes eines Ingenieurs, der im Alter von sechs Jahren mit seinen Eltern über Italien nach Deutschland kam, wo die Familie Asyl beantragte, um dann weiter nach Kenia zu ziehen, leichter zu verstehen, als die Vielfalt an literarischen und in Sachbüchern behandelten Themen erraten lassen.
Das literarische Parkett betrat Ilija Trojanow 1996, er war damals 31 Jahre alt, hatte Jura und Ethnologie studiert und in seinem ersten Roman über die Fremdheits- und Asyl-Erfahrungen seiner Kindheit geschrieben. Der Roman: „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ wurde gelobt und machte ihn schnell bekannt. Es besteht kein Zweifel, dass die eigenen Exil-Erfahrungen die Wurzeln seines gesamten engagierten Werkes sind. Wer als Kind erlebt hat, wie die eigene Wohnung verwanzt wurde, wie alle Bewohner des Hauses in Sofia unter irgendwelchen Vorwänden zu irgendwelchen amtlichen Stellen beordert wurden, damit man in der kleinen Wohnung der Trojanows unbeobachtet die Abhörapparaturen anbringen konnte, der ist für immer für ein solches Thema sensibilisiert. 2015, nach langen Recherchen in den Archiven der bulgarischen Staatssicherheit, nach vielen Gesprächen mit Zeitzeugen und unter Verwendung originaler Dokumente schrieb er den Roman „Macht und Widerstand“ und erfand dafür zwei Antitypen: den Offizier Methodi, Karrierist und Opportunist, und Konstantin, einen Widerstandskämpfer. Das ist die sachliche und mit Fakten untermauerte Recherche zu den Erlebnissen, die seine Eltern und Verwandten quälten und die für ihr gesamtes, der Welt ausgeliefertes Leben verantwortlich sind.
Ilija Trojanows Wille und Eifer, den politischen Missständen, Verblendungen durch Ideologien, Vorurteilen oder einfach nur der im Menschen angelegten Abenteuerlust nach zu gehen, bleibt bei ihm nicht an der Theorie hängen. Der Praktiker und extreme Selbsterprober kam 2012 während der olympischen Sommerspiele in London auf die verrückte Idee, die 80 olympischen Disziplinen zu trainieren. Mit knapp 50 Jahren und sportlich gesehen ein „Senior“, begann er den Sportarten auf den Grund zu gehen. So hat für ihn auch gar kein Zweifel bestanden, die Reise des exzentrischen Offiziers und Afrikaforschers Richard Francis Burton (1821–1890) auf der Suche nach den Quellen des Nil selbst nachzureisen. Und weil Burton zum Islam übergetreten war und eine Hadsch nach Medina unternommen hatte, machte auch Trojanow sich auf den Weg. Weil die Welt groß und Ilija Trojanow entschlossen ist, diese Welt zu kennen und sie an den Stellen für seine Leser zu öffnen und zu bebildern, wo sie schwer zugänglich ist, hat er sich nicht nur mit Indien beschäftigt und selbst in Mumbai gelebt, sondern auch für afrikanische Autoren eingesetzt, in den eigenen Verlagen Marino und Kyrill & Method, Reiseführer über Afrika verfasst, Anthologien mit Texten afrikanischer Autoren herausgegeben und selbst von 2003 bis 2007 in Kapstadt gelebt. Dass er jetzt einen Wohnsitz in Wien hat, klingt wie eine Pause, die keine Ewigkeit anhalten wird.
Weshalb fordert sich ein Mensch bis zum Äußersten, weshalb will er alles selbst ausprobieren? Weil Ilija Trojanow misstrauisch sein musste, weil er, aufgewachsen mit dem System der Täuschung in Bulgariens Sozialismus, Tatsachen erst dann anerkennt, wenn er sie selbst, am eigenen Leib erprobt hat! Zu den politischen Motiven, der Neugier, dem Wissensdurst, seinem Abenteuergeist kommt die Lust, scheinbar abwegig, schräg und verschmitzt, ins Herz existenzieller Themen zu zielen. Wie radikal Ilija Trojanow seinem geheimen Fahrplan folgt, zeigt sein Werk, entstanden in den vergangenen zwanzig Jahren. Sein jüngstes Buch „Meine Olympiade“ stellt seine Konsequenz und seinen Wagemut, ein Aktivist zu sein, um den Erfahrungen und damit dem eigenen Schreiben trauen zu können, wieder unter Beweis.
aktuell: Meine Olympiade. Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen. Sachbuch. S. Fischer. Frankfurt a. M., Mai 2016
Samstag, 27. August, 20:30 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: von 5,00 / erm. 3,50 bis 10,00 / erm. 8,50 Euro