36. Erlanger Poetenfest — 25. bis 28. August 2016
Nebenpodium im Schlossgarten. Moritz Rinke im Gespräch mit Verena Auffermann – Foto: Erich Malter, 2006

Veranstaltung


Friedländer, Kerr, Freud
Drei jüdische Intellektuelle zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Wie man Biografien recherchiert, schreibt, konstruiert – Eine Werkstattschau mit drei neuen Büchern
Gespräch mit Peter-André Alt, Simon Elson und Deborah Vietor-Engländer
Moderation: Florian Felix Weyh, Lesungen: Markus Hoffmann

„Das Leben wird vorwärts gelebt – und rückwärts begriffen“, schrieb Kierkegaard. Der es vorwärts lebt, hat keine Kenntnis davon, wie es sich in der Rückschau einordnen und bewerten lässt. Das tun dann, ist man berühmt genug geworden, die Biografen. Drei davon präsentieren beim Poetenfest ein Genre zwischen Belletristik und Sachbuch: Ein Biograf darf nicht lügen, soll nichts schönen und nichts verschweigen. Doch nur sichere Fakten aufzuzählen, genügt nicht. Der Biograf muss auch erzählen, interpretieren, plausibel vermuten und aus historischen Analogien Schlüsse ziehen können. Das ist umso wichtiger, je weniger Material es vom Biografierten gibt. Der junge Kunsthistoriker Simon Elson hat sich jahrelang durch die Notizbücher von Max J. Friedländer gekämpft, dem wichtigsten deutschen Kunsthistoriker zwischen 1880 und 1950. Neben seltsamen Zahlencodes enthalten sie kaum persönliche Bemerkungen. So rekonstruiert der Biograf das Leben Friedländers fast wie ein Archäologe, nämlich auf spärlichster Datenbasis. Dennoch ist dabei ein Buch entstanden, das die Bedeutung dieses weitgehend vergessenen jüdischen Intellektuellen erfahrbar macht.

Alfred Kerr hingegen genießt immer noch reichlich Nachruhm, auch existiert von ihm ein umfangreicher Nachlass. Dennoch fehlte eine umfassende, alles Material würdigende Biografie dieses prägenden Theater- und Literaturkritikers der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Literaturwissenschaftlerin Deborah Vietor-Engländer hat sie nun verfasst. Erleben wir den begnadeten Polemiker, den die Nazis abgrundtief hassten, in neuen Rollen? Im Vergleich zu Max J. Friedländer und Alfred Kerr könnte man Sigmund Freud fast als „totporträtiert“ begreifen: Wie Darwin, Marx, Einstein gehört er zu den am häufigsten beschriebenen Berühmtheiten des 19. Jahrhunderts. Warum also hat sich der Historiker und Präsident der Freien Universität Berlin, Peter-André Alt, an eine voluminöse neue Freud-Biografie gesetzt? Biegt sich jede Generation ihr Freud-Bild neu zurecht, muss man alte Biografien von ideologischen Voreingenommenheiten befreien? Auch hier ergibt sich ein interessanter Werkstatt-Einblick, denn im Gegensatz zu Friedländer herrscht kein Materialmangel, sondern eher das Bedürfnis nach einer neuen Anordnung des Vorgefundenen. Ganz gemäß der Kierkegaard’schen Auffassung vom Rückwärtsbegreifen: Das verläuft in jeder Generation ein bisschen anders. (Florian Felix Weyh)

Peter-André Alt: Sigmund Freud. Der Arzt der Moderne. Eine Biographie. C. H. Beck. München, 19. Sep 2016
Simon Elson: Der Kunstkenner Max J. Friedländer. Biografische Skizzen. Verlag der Buchhandlung Walther König. Köln, Dez 2015
Deborah Vietor-Engländer: Alfred Kerr. Die Biographie. Rowohlt. Reinbek, 21. Sep 2016

Samstag, 27. August, 15:30 Uhr, Orangerie im Schlossgarten
Eintritt frei!

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