Ulrike Draesner
Als im Frühjahr 1997 die Sensationsnachricht vom ersten geklonten Lebewesen, dem Schaf Dolly, über den Erdball eilte, schien das die Welt der Literatur kaum zu beeinträchtigen. Nur bei ganz wenigen Autoren hat das Erscheinen des ersten Klons auch die literarischen Wahrnehmungsweisen affiziert. So erlebte die Schriftstellerin Ulrike Draesner die Urszene gentechnologischen Triumphes als Erkenntnisschock und Epiphanie. Seither schreibt sie Romane und Gedichte immer auf Augenhöhe mit den jüngsten Erkenntnissen der Biotechnologie, der Reproduktionsmedizin und der Neurowissenschaften.
Ulrike Draesner, geboren 1962 in München, studierte Anglistik, Germanistik und Philosophie, 1992 promovierte sie über Wolfram von Eschenbachs „Parzival“. Seit 1996 lebt sie in Berlin.
Draesner stammt aus einer schlesisch-bayrischen Familie. Ihre Kindheit war von der gemischten Herkunft ihrer Eltern bestimmt: Katholizismus und Protestantismus, Bürgertum und Bäuerliches, verschiedene Dialekte und Traditionen überkreuzten sich.
Ihr jüngster, viel beachteter Roman „Sieben Sprünge vom Rand der Welt“ erzählt das Leben des Verhaltensforschers und Primatologen Eustachius Grolmann. Daraus entwickelt sich ein Familien- und Generationenroman, der über elf Kapitel und durch 80 Jahre deutsche Geschichte führt. Es geht um die Verfasstheit einer Generation, die zwischen 1939 und 1945 traumatische Erfahrungen gemacht hat. Solche von Flucht und Vertreibung im Falle der Familie Grolmann, die in einer eiskalten Januarnacht mit durchgeweichten Pappkoffern aus Breslau in Richtung Bayern aufbricht.
Zentrales Thema des Buches ist die „transgenerationelle Traumatisierung“. In Erlangen gibt Ulrike Draesner auch einen Vorblick auf ihren im November 2014 erscheinenden Gedichtband „Subsong“, in dem die Dichterin der Sprache der Vögel nachhorcht und nach „dem Lied unter dem Lied“ sucht. (M. B.)
Auszeichnungen u. a.: Förderpreis zum Leonce-und-Lena-Preis (1995), Solitude-Förderpreis (1996), Bayerischer Staatsförderpreis für Literatur (1997), Hölderlin-Förderpreis, Stipendium Künstlerhaus Edenkoben (2001), Preis der Literaturhäuser (2002), Droste-Preis der Stadt Meersburg (2006), Solothurner Literaturpreis (2010), Joachim-Ringelnatz-Preis für Lyrik (2014). Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „gedächtnisschleifen“, Gedichte, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1995
– „Lichtpause“, Roman, Volk & Welt, Berlin 1998
– „Reisen unter den Augenlidern“, Erzählungen, Ritter, Klagenfurt 1999
– „für die nacht geheuerte zellen“, Gedichte, Luchterhand, München 2001
– „Mitgift“, Roman, Luchterhand, München 2002
– „Hot Dogs“, Erzählungen, Luchterhand, München 2004
– „kugelblitz“, Gedichte, Luchterhand, München 2005
– „Spiele“, Roman, Luchterhand, München 2005
– „Zauber im Zoo. Vier Reden von Herkunft und Literatur“, Wallstein, Göttingen 2007
– „Schöne Frauen lesen. Über Ingeborg Bachmann, Annette von Droste-Hülshoff, Friederike Mayröcker, Virginia Woolf u. v. a.“, Essays, Luchterhand, München 2007
– „berührte orte“, Gedichte, Luchterhand, München 2008
– „Vorliebe“, Roman, Luchterhand, München 2010
– „Richtig liegen. Geschichten in Paaren“, Luchterhand, München 2011
– „Heimliche Helden. Über Heinrich von Kleist, James Joyce, Thomas Mann, Gottfried Benn, Karl Valentin u. v. a.“, Luchterhand, München 2013
– „Sieben Sprünge vom Rand der Welt“, Roman, Luchterhand, München 2014
– „Subsong“, Gedichte, Luchterhand, München, November 2014
Sa, 30.8., 14 Uhr, Schlossgarten und 16 Uhr, Orangerie
Website:
www.draesner.de