34. Erlanger Poetenfest — 28. bis 31. August 2014
Nebenpodium im Schlossgarten. Moritz Rinke im Gespräch mit Verena Auffermann – Foto: Erich Malter, 2006

Veranstaltung


Autorenporträt: Ulla Hahn
Herz über Kopf im Spiel der Zeit
Lesung und Gespräch mit Dirk Kruse

„Düwelsbrode – Teufelsbraten“ wurde die kleine Ulla Hahn von ihrer Großmutter häufig gescholten. Das fantasie- und sprachbegabte Mädchen, 1946 geboren und in Monheim am Rhein aufgewachsen, stieß in ihrer bildungsfernen katholisch-frommen Arbeiterfamilie auf Unverständnis. Nur der Großvater erkannte Ulla Hahns Hunger nach Buchstaben und Bildung und beflügelte die Fantasie des Kindes mit marmorierten Rheinkieseln, die er als Lesesteine bezeichnete, weil sie Geschichten in sich bargen. Wie sich dem Mädchen durch Lektüre eine Welt auftut, sie im Volksschullehrer und im Pastor Förderer findet, die ihr den Besuch einer höheren Schule ermöglichen, davon handelt Ulla Hahns 2001 erschienener autobiografischer Roman „Das verborgene Wort“. Diese 600 Seiten starke Erzählung, von der Kritik nahezu einhellig als „imposantes, autobiografisch geprägtes Epos“ und als „unübertreffliches Sittengemälde“ gelobt, ist Ulla Hahns größter Bucherfolg. Mehr als 400.000 Exemplare wurden verkauft, die Autorin mit dem ersten Deutschen Bücherpreis ausgezeichnet und der Roman eindrucksvoll unter dem Titel „Der Teufelsbraten“ verfilmt.
Der eigene Lebensstoff ließ Ulla Hahn nicht mehr los, und so beschrieb sie den Fortgang ihres Alter Ego Hilla Palm nach der Lehre auf dem zweiten Bildungsweg zum Abitur und zum Germanistik- und Soziologiestudium in Köln im 2009 veröffentlichten Roman „Aufbruch“. Ende September wird mit „Spiel der Zeit“ der dritte Band dieses riesigen Entwicklungs-, Bildungs- und Gesellschaftsromans erscheinen, der im Jahr der Studentenunruhen 1968 endet. Auf dann insgesamt 1.800 Seiten kann man in diesem „Gewebe aus Erfahrung, Erfindung und Dokumenten“, wie Ulla Hahn es nennt, eine ebenso anregende wie anrührende Kultur- und Sittengeschichte der 50er- und 60er-Jahre der Bundesrepublik lesen. Ob das autobiografische Romanepos, an dem Ulla Hahn seit rund fünfzehn Jahren arbeitet, damit abgeschlossen ist oder weiter fortgesetzt wird, erfahren wir an diesem Abend.
Ganz sicher aber wird Ulla Hahn weiterhin Gedichte schreiben. Denn als Lyrikerin trat die promovierte Literaturwissenschaftlerin Anfang der 80er-Jahre mit einem veritablen Paukenschlag an die Öffentlichkeit. Ihr Debüt „Herz über Kopf“ von 1981 avancierte zu einem der wenigen Lyrikbeststeller der vergangenen Jahrzehnte. Ihr schlagartiges Bekanntwerden als Dichterin hatte Ulla Hahn vor allem ihrem Mentor Marcel Reich-Ranicki zu verdanken, der sämtliche Gedichte der bis dahin fast Unbekannten vorab in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichte. Sein Lob „Ulla Hahn beweist uns – und das ist schließlich das Wichtigste – dass deutsche Gedichte auch in unseren Tagen schön sein können“ und sein vehementer Einsatz provozierten starken Widerspruch in Teilen der Literaturkritik. Ulla Hahns Lyrik des Verses und des Wohllauts, ihre Liebes-Thematik und ihr spielerisches Wiederverwenden tradierter Formen wie Volkslied, Rondeau oder Sonett polarisierte und passte nicht in eine Zeit, in der die Neue Subjektivität den Ton angab. Doch setzte Ulla Hahn ihren erfolgreichen Weg unbeirrt fort. Es folgten neun weitere Gedichtbände, von denen der 2011 erschienene Band „Wiederworte“ der erstaunlichste sein dürfte. 30 Jahre nach Erscheinen des Erstlings hält die Dichterin Zwiesprache mit ihrem jüngeren Ich und setzt ihren früheren Gedichten neue entgegen – eine bezaubernde lyrische Zwiesprache. Ulla Hahns ebenso beliebtes wie beeindruckendes poetisches Gesamtwerk kam erst im vergangenen Jahr in einem über 800 Seiten starken Buch als „Gesammelte Gedichte“ heraus. Ihren Status als Klassikerin zu Lebzeiten kann man aber auch an dem kleinen gelben Reclam-Bändchen „Süßapfel rot“ festmachen, der einige ihrer schönsten Gedichte enthält. Ob dick oder dünn – beide Sammlungen bieten trostreiche augenzwinkernde Liebes- und Lebenslyrik.
Dirk Kruse

aktuell: Spiel der Zeit. Roman. DVA. München, 29. Sep 2014

Freitag, 29. August, 20:30 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: von 5,00 / erm. 3,50 bis 10,00 / erm. 8,50 Euro

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