Marcel Beyer
Ob sich Wladimir Putin noch an seinen Dresdner Briefkasten erinnert? Der Romancier und Lyriker Marcel Beyer könnte dem russischen Präsidenten auf die Sprünge helfen. Eines Morgens sucht er die unscheinbare Straße am Stadtrand auf, wo Putin in den 80er-Jahren wohnte. Beyer kannte den Ort schon. Die Überprüfung des Erinnerungsbildes löst neue Assoziationen aus, die zu Dostojewski führen und schließlich Putins Form der Machtausübung in den Blick nehmen. Das Faszinosum der acht Recherchen, die Marcel Beyer in seinem neuen Band „Putins Briefkasten“ versammelt, sind diese kreisenden Suchbewegungen. Gleichgültig, ob es sich um eine Fotografie Gerhard Richters, die Malerei Wilhelm Müllers, ein Kunstblumengesteck oder Lessings Ofenschirm handelt, oft bergen die Abschweifungen den Kern der Erkenntnis. Beyers Essays, die man ebenso gut Erzählungen nennen könnte, schillern zwischen Stadterkundungen, Reisebeschreibungen, Denkbildern und Poetik. Berühmt wurde Beyer mit dem Roman „Flughunde“ (1995), in dem der Zusammenbruch des Dritten Reiches aus der Perspektive des Beschallungsspezialisten Karnau und der Goebbels-Tochter Helga erzählt wird. Auch in „Spione“ (2000) und „Kaltenburg“ (2009) beschäftigt sich Beyer mit der NS-Zeit. Wie seine erzählerischen Universen entstehen, lassen die Essays ahnen. (M. A.)
Auszeichnungen u. a.: Ernst-Willner-Preis (1991), Aufenthaltsstipendium am Literarischen Colloquium Berlin (1992), Aufenthaltsstipendium auf Schloss Wiepersdorf (1995), Uwe-Johnson-Preis (1997), New-York-Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1999), Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln (2001), Friedrich-Hölderlin-Preis (2003), Spycher: Literaturpreis Leuk (2004), Erich-Fried-Preis (2006), Joseph-Breitbach-Preis (2008), Stadtschreiber von Bergen-Enkheim (2012).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Walkmännin. Gedichte 1988/1989“, Patio, Frankfurt a. M. 1990
– „Das Menschenfleisch“, Roman, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1991
– „Flughunde“, Roman, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1995
– „Falsches Futter“, Gedichte, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1997
– „Spione“, Roman, DuMont, Köln 2000
– „Erdkunde“, Gedichte, DuMont, Köln 2002
– „Nonfiction“, Essays, DuMont, Köln 2003
– „Vergesst mich“, Erzählung, DuMont, Köln 2006
– „Kaltenburg“, Roman, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009
– „Putins Briefkasten. Acht Recherchen“, Suhrkamp, Berlin 2012
Samstag, 25. August, 15:30 Uhr, Schlossgarten