32. Erlanger Poetenfest — 23. bis 26. August 2012
Nebenpodium im Schlossgarten. Moritz Rinke im Gespräch mit Verena Auffermann – Foto: Erich Malter, 2006

Veranstaltung


Rede, dass wir dich sehen – Erinnerungen an Christa Wolf
Gespräch mit Daniela Dahn, Sonja Hilzinger, Karlheinz Mund, Núria Quevedo und Kathrin Schmidt
Moderation: Friedrich Dieckmann
Lesung aus Texten von Christa Wolf: Jutta Wachowiak
Film-Dokumentation „Zeitschleifen – Im Dialog mit Christa Wolf“ (DDR 1991, Regie: Karlheinz Mund, Drehbuch: Karlheinz Mund, Daniela Dahn)

„Rede, daß ich dich sehe!“ heißt ein kürzlich erschienener Band mit Essays, Reden und Gesprächen aus den letzten zehn Jahren, den Christa Wolf selbst noch konzipiert hat. Der Titel ist von Johann Georg Hamann entlehnt, dem „Magus des Nordens“, Kants Zeitgenossen und Antipoden, der gegenüber dem Absolutheitsanspruch des Verstandes auf der Schöpferkraft des Gefühls und Gemütes insistierte, wie die Sprache der Dichtung sie offenbare. Aus der Kraft lebendigen Fühlens und der Vollmacht einer sprachmächtigen Erzählkunst hat Christa Wolf dem Rationalismus opponiert, der sie am Leitseil des Marxismus-Leninismus in Gestalt des staatgewordenen Sozialismus umgab. Insofern dieser den Gedanken sozialer Gleichheit in die gesellschaftliche Realität übertrug, war sie auf seiner Seite; als er sich hinter einer Mauer aus Beton verschanzte, war es an ihr, auf Fehl- und Leerstellen in Wirklichkeit und Geschichtsbild zu verweisen, mit einer Sprachkunst, vor der die ästhetischen Instanzen der herrschenden Partei schließlich kapitulierten; zu stark war in Ost und West der Rückhalt der deutschen Leserschaft und das Echo des Auslands.
Zwei Jahre nach der Berliner Grenzschließung artikulierte sie in „Der geteilte Himmel“ die Seelennöte einer deutschen Spaltung, die auf der wechselseitigen Verteufelung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten beruhte; fünf Jahre später durchbrach sie mit „Nachdenken über Christa T.“ ein anderes Tabu der DDR-Literatur: Lebensverzweiflung mitten im siegreichen Sozialismus. „Kindheitsmuster“, ein Buch, mit dem sie nach acht Jahren das erschrockene Schweigen brach, in das der sowjetische Einmarsch in Prag sie versetzt hatte, beschrieb mit kunstvoll gebrochener Optik eine Kindheit in dem an Polen verlorenen deutschen Osten zur Zeit des Hitlerregimes; „Kassandra“ beschrieb im verfremdenden Material des antiken Mythos die fundamentale Falle, in die der technische Fortschritt eine naturvergessene Menschheit gestürzt hatte. „Störfall“ verschärfte den Befund angesichts des Menetekels von Tschernobyl; „Kein Ort. Nirgends“ hieß, mit Kleist und der Günderode als fiktiven Protagonisten, ihr persönlich-überpersönlicher Abschied von der Utopie. Christa Wolf setzte mit jedem Buch von Neuem an; es war der Klang, der Rhythmus einer dem jeweiligen Vorwurf gerecht werdenden Erzählweise, nach dem sie suchte, um den sie rang. Immer wieder rief sie gegen die Fühllosigkeit eines technizistischen Fortschrittsdenkens die Gegenmächte des Empfindens, des Mitleidens auf: das Mütterlich-Umfangende als die Gegeninstanz einer Weltgeschichte verselbstständigter Effizienzen.
In der deutschen demokratischen Revolution des Herbstes 1989 sprach auch sie zu der Million Demonstranten, die sich gewaltlos und entschieden auf dem Alexanderplatz versammelten, um Verfassungsrechte einzufordern. Als sich fünf Tage später die Grenze öffnete und deutsche Vereinigung sich anbahnte, opponierte sie einem Prozess, der auf politisch-ökonomische Überwältigung hinauslief; die mediale Strafe für den Störfaktor, den ihre moralische Autorität bedeutete, blieb nicht aus. Die reflektierende Intensität, mit der sie Vorwürfen, Attacken, Herabwürdigungen begegnete, indem sie sich selbst auf den Grund ging, bekräftigte ihren menschlichen und künstlerischen Rang; ihr letzter, 2010 erschienener Roman, „Stadt der Engel“, machte es einmal mehr deutlich.
In den Konflikten der alten wie der neuen Zeit waren es ihre Leser, die ihr den Rückhalt gaben, dessen die Kunst bedarf, um ins Leben zu treten; als eine Gestalt von fühlsamer Tiefe und standhafter Humanität lebt sie im Bewusstsein der Gegenwart. Auf die Frage, was Schönheit für sie bedeute, antwortete sie vor einigen Jahren: „Schönheit ist für mich etwas anderes, als man mir im Fernsehen und in den Zeitschriften einreden will. Man will uns ja einreden, jemand sei desto schöner, je weniger Spuren das Leben in ihm hinterlassen hat. Aber die Schönheit, die ich bewundere, ist die Schönheit des Lebens und nicht die, aus der das Leben getilgt wurde.“
Im Rahmen des 32. Erlanger Poetenfests sprechen Freunde und Weggefährten Christa Wolfs über ihr Leben und Werk.
Friedrich Dieckmann

Jutta Wachowiak liest aus Texten von Christa Wolf. 1940 in Berlin geboren, ist sie eine der herausragenden Schauspielerinnen der ehemaligen DDR. Nach einem langjährigen Engagement am Deutschen Theater Berlin gehörte sie später einige Jahre dem Ensemble des Grillo-Theaters Essen an. Derzeit spielt sie am Schauspielhaus Bochum. Einem breiten Publikum ist sie durch zahlreiche Film- und Fernsehrollen bekannt, zuletzt unter anderem „Tatort“, „Nikolaikirche“, „Rosenstraße“ oder „Hunger nach Leben“.

Ergänzend zum Podiumsgespräch werden in den Foyers des Markgrafentheaters zwei Mappenwerke gezeigt: Núria Quevedo, 9 Radierungen zu Christa Wolfs Erzählung „Kassandra“, mit Tagebuchnotizen, Reclam Leipzig, 1985 und Günther Uecker, 12 Radierungen zu Christa Wolfs Text „Medea. Stimmen“, Verlag Gerhard Wolf Janus press, Berlin 1996.

Sonntag, 26. August, 18:30 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: 5,00 / erm. 3,50 Euro

« zurück