Katharina Schultens
Was zuerst auffällt an den Gedichten dieser jungen Autorin, ist ihr Habitus der Sachlichkeit. Es geht der 1980 geborenen Dichterin Katharina Schultens ganz offenkundig nicht mehr um die Entbindung des romantischen Zauberworts, sondern um die kühle Beobachtung von Strukturen. „Das künstlerische Material muss kalt gehalten werden“, hat einst Gottfried Benn dekretiert. Wir lesen die Gedichte einer Autorin, die ihrem Werk demonstrativ den Titel „gierstabil“ gibt – und damit auf einen Terminus aus der Kinematik und Fahrzeugtechnik zurückgreift, der bestimmte Steuerungstendenzen diverser Land- und Luft-Fahrzeuge bezeichnet. Und natürlich schwingt auch noch die Assoziation zu „gier“ und damit die Konnotation eines heftigen emotionellen Geschehens mit. Aber just diese Verbindung von multiplen technoiden Strukturen und Körperelementen, von physikalisch-biomechanischen Modi und traditionellen Natur- und Nähe-Metaphern gehört zu den Eigenheiten von Katharina Schultens’ Dichtkunst. Ihr Debütband „Aufbrüche“ hatte 2004 noch auf die Mobilisierung einer expressionistischen Sprache und die Evokation einer traditionellen Stimmungslyrik vertraut. In „gierstabil“ kommt nun ein ganz anderes Ich zu Wort, ein un-sentimentales, analytisch beobachtendes, ganz in die prozesshaften Abläufe und technisch-wissenschaftlichen Komplexitäten unserer Gegenwart vertieftes und sachlich registrierendes Ich.
Die tastenden Denkbewegungen dieser Gedichte zielen darauf ab, die Wahrnehmungen zu überprüfen, mit denen wir uns die Welt erschließen. „Ich kann in Matrixstrukturen denken,...ich kann wasserdichte Protokolle schreiben...“, hat Katharina Schultens einmal notiert. Das Denken in „Matrixstrukturen“ hat die Autorin auch durch ihre Arbeit als Referentin im Wissenschaftsmanagement gelernt. Nach Abschluss ihres Studiums der Kulturwissenschaften in Hildesheim und Auslandsaufenthalten in St. Louis und Bologna arbeitet sie seit 2006 im Bereich Forschungsverwaltung der Humboldt-Universität in Berlin. Über ihre literarische Arbeit hat sie in einem Essay geschrieben: „es geht grade immer um flexible sortierung, um eine bewegung, die sich entzieht. also diese holzkästen, in die man einsortieren konnte, nur eben sind jetzt die wände durchlässig und die glitzerdinger beweglich. so was wie rudel gut erzogener libellen, die keinen krach machen, aber einmal quer durch die struktur fliegen.“ Durch diese entschlossene Durchquerung der Strukturen, durch die kleinen Verschiebungen in den Gedichten, werden Innen- und Außenwelt, Technik und Seele durchlässig und in Schwebezustände versetzt – eine seltsam flirrende wie faszinierende Wahrnehmung von Welt. (M. B.)
Auszeichnungen u. a.: Martha-Saalfeld-Förderpreis (2005), Georg-K.-Glaser-Förderpreis (2007), Förderpreis zum Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz (2009).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Aufbrüche“, Gedichte, Rhein-Mosel-Verlag, Zell/Mosel 2004
– „gierstabil“, Gedichte, luxbooks, Wiesbaden 2011
Samstag, 27. August, 17:30 Uhr, Schlossgarten