Nora Bossong
Alles begann mit dem Gedicht „Rattenfänger“ – und der Geschichte einer unerhörten Verführung. Vor sieben Jahren eröffnete das „Jahrbuch der Lyrik“ mit dem Gedicht einer 22-jährigen Literaturstudentin aus Leipzig. Die Autorin war die 1982 in Bremen geborene Nora Bossong. Nach Abschluss ihres Studiums am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig konzentrierte sich Bossong auf philosophische und komparatistische Studien an der Humboldt-Universität in Berlin und schrieb in dieser Zeit auch ihren ersten Roman „Gegend“.
Nora Bossongs Gedichte geben vor, Geschichten zu erzählen, aber diese Geschichten lassen durch Verkürzungen und Verknappungen alles in der Schwebe, sie siedeln in einem Zwischenraum, in dem nichts auserzählt, sondern alles nur im Modus der Andeutung greifbar wird. In den ganz frühen Gedichten wird durch die Präsenz von Tieren eine irritierende Geheimnishaftigkeit erzeugt. Diese Tendenz zur Rätselvermehrung setzt sich in „Gegend“ fort. Nach einer langen Reise an den südlichen Rand Europas verirren sich die Helden dieser verstörenden Geschichte in ein exterritoriales Gelände, das auf keiner Landkarte verzeichnet ist. In der Hitze und Menschenleere der fremden Gegend lauert das Unheil. Auch hier – Rätsel, so weit das Auge reicht. Wenn der Ich-Erzählerin am Ende die Flucht aus dem Bannkreis der „Gegend“ gelingt, erwacht der Leser wie aus einem schweren Traum. Dieser schwere Traum will für die Figuren von Nora Bossongs Gedichten nicht enden. In ihrem jüngsten Gedichtband „Sommer vor den Mauern“ bewegt sich die Dichterin durch ein mythisches „Arkadien“, das religionsgeschichtlich aufgeladen ist. Es sind Gedichte, die sorgsam das Terrain katholischer Heilsgeschichte erkunden, wobei die Aura des Religiösen auf das hellwache säkulare Bewusstsein der Dichterin trifft. Subtil und unaufdringlich verwebt Bossong religiöse Ikonographien in die Wahrnehmung eines Nachmittags oder in eine unspektakuläre Alltagsszene. Diese Gedichte, die in einem Gestus leiser Verhaltenheit daherkommen, erreichen eine Luzidität, die man in der Gegenwartslyrik selten antrifft. (M. B.)
Auszeichnungen u. a.: Klagenfurter Literaturkurs (2003), Leipziger Literaturstipendium (2004), Prosawerk-Stipendium der Jürgen-Ponto-Stiftung (2005), Stipendium des Berliner Senats, Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis (2007), New York Stipendium des Deutschen Literaturfonds (2008), Writer in Residence Universität Nanjing (2009), Heinrich-Heine-Stipendium Lüneburg (2010), Kunstpreis Berlin (2011).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Gegend“, Roman, Frankfurter Verlagsanstalt, 2006
– „Reglose Jagd“, Gedichte, zu Klampen!, Springe 2007
– „Webers Protokoll“, Roman, Frankfurter Verlagsanstalt, 2009
– „Standort“, Gedichte, Audio-CD, Münchner Frühling-Verlag, München 2009
– „Palastwache“, Erzählung, Literatur-Quickie, Hamburg 2010
– „Sommer vor den Mauern“, Gedichte, Hanser, München 2011
Samstag, 27. August, 15:00 Uhr, Schlossgarten