Veranstaltung
Die Revue der Neuerscheinungen II
Lesungen und Gespräche mit Michel Bergmann, Navid Kermani,
Abbas Khider, Angelika Klüssendorf, Michael Kumpfmüller, Andreas Maier,
Ulrike Almut Sandig, Antje Rávic Strubel, Alissa Walser und Ulrich Zieger
Weite Wege haben sie zurückgelegt. Neue Häuser bezogen. Jahre haben sie an ihren neuen Manuskripten gearbeitet, haben entworfen, verworfen, umgeschrieben, sich mit ihren Lektoren gestritten und wieder versöhnt und mit bewundernswerter Disziplin dem bunten Alltag jenseits der eigenen vier Wände mit dem Schreibtisch am Fenster widerstanden. Sie sind in ihrer fernen Heimat politischen Wirren entkommen – oder auch nur einer aussichtslosen Liebesbeziehung in der Nachbarschaft; sie sind zurück nach Vorpommern, in den Irak, nach Ungarn, Kärnten, in den sagenhaften Orient gereist oder in die Klosterschule ihrer Kindheit, sie haben sich in den Archiven der Geschichtsschreibung vergraben oder sind der eigenen dramatischen Familiengeschichte über den Weg persönlicher Erinnerungen auf die Spur gekommen. Sie haben sich mit deutschen Dichterfürsten und jüdischen Teppichhändlern, vordarwinistischen Denkern und katholischen Mönchen, tyrannischen Müttern und starken Mädchen, Beamten der Staatssicherheit, Zirkuskindern, Traumtänzern und Sozialisten brauner Couleur beschäftigt. Nichts ist vergangen, alles ist gegenwärtig. Sie sind fertig geworden, angekommen, voller Erwartung, was die Leser, die Zuhörer sagen werden zu ihren neuen Büchern.
Jan Koneffke erzählt mit epischem Atem in seinem Schelmenroman „Die sieben Leben des Felix Kannmacher“ von einem modernen Taugenichts, der 1934 von einem Musiker aus dem Deutschen Reich geschmuggelt wird und in Bukarest einen haarsträubend-abenteuerlichen Neuanfang versucht (Sa, 14:00). Zsuzsa Bánks Roman „Die hellen Tage“ spielt in einer süddeutschen Kleinstadt. Eine bewegende, tragische, auch zeitlich weit verzweigte Geschichte, in der Kinder den Ton angeben (Sa, 14:30). Albert Ostermaier erzählt in seinem hochmoralischen wie ungeheuerlichen Roman „Schwarze Sonne scheine“ die Geschichte eines jungen Mannes, der unbedingt Schriftsteller werden will, krank wird und von seinem väterlichen Mentor, einem katholischen Priester, für sein eigenes Streben missbraucht wird (Sa, 15:30). Eugen Ruge entwickelt in seinem hoch ambitionierten Roman-Debüt „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ die äußerst wechselvolle Geschichte einer deutschen Familie quer durch die Abgründe des 20. Jahrhunderts (Sa, 16:00).
Dass die vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff zu den klügsten und sprachmächtigsten Autorinnen ihrer Generation gehört, hat sich inzwischen herumgesprochen. Mit „Blumenberg“ legt sie ein neues Meisterstück vor. Eine unheimliche Begegnung zwischen einem von seinen Studenten geradezu vergötterten Philosophen mit einem leibhaftigen Löwen bringt den Stein des Erzählens ins Rollen (Sa, 16:30). Nicht weniger geistreich geht es in Wilhelm Bartschs Liebes-, Heimat-, Kriminal- und Kriegsroman „Meckels Messerzüge“ zu. Wir schreiben das Jahr 1813, Deutschland ringt gegen das Frankreich Napoleons um seine Freiheit (Sa, 17:00). „Der Hals der Giraffe“ heißt Judith Schalanskys Bildungsroman. Was für eine herrliche Welterrettungsgroteske! Eine Biologielehrerin verrenkt sich auf der Jagd nach unerreichbaren Früchten den Hals und fällt vom Glauben an Darwin ab (Sa, 18:00)! Zum Schluss des ersten Tages liest Maja Haderlap aus ihrem vor wenigen Wochen mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichneten Roman „Engel des Vergessens“. Eine mit großer Genauigkeit in Szene gesetzte Geschichte von einem slowenischen Kind, zugleich vom Schicksal der slowenischen Minderheit in Kärnten (Sa, 18:30).
Dann der Auftritt Abbas Khiders. Der in Bagdad geborene, wegen des Protests gegen Saddam Hussein ins Gefängnis gebrachte und aus dem Irak 2000 ins deutsche Exil geflohene Schriftsteller liest aus seinem höllischen und himmlischen, traurigen und komischen Bestseller „Die Orangen des Präsidenten“ (So, 14:00). Im Mittelpunkt von Navid Kermanis Familienroman „Dein Name“ steht ein Großvater, der Anfang des 20. Jahrhunderts als erstes Kind aus Isfahan die amerikanische Schule in Teheran besuchte (So, 14:30). Michael Kumpfmüller hat sich in seinem Buch „Die Herrlichkeit des Lebens“ in das letzte Lebensjahr des tuberkulosekranken Franz Kafka versetzt. Er erzählt die ergreifende, rätselhafte und erlösende Geschichte einer letzten Liebe (So, 15:00). Nach seinem großen Erfolg mit „Die Teilacher“ erzählt Michel Bergmann in seiner Roman-Fortsetzung „Machloikes“ von einem verwegenen Grüppchen jüdischer Geschäftemacher im Frankfurt der Nachkriegszeit. Mit einem für die deutsche Gegenwartsliteratur einzigartigen Humor zieht er das Publikum in seinen Bann (So, 15:30).
Antje Rávic Strubel begibt sich auf eine Vogelschutzinsel in der Ostsee und erzählt in „Sturz der Tage in die Nacht“ die fiktive Biografie eines ostdeutschen Jungen im Gewande einer Politstory (So, 16:00). Die Urgroßmutter ist die erste Bezugsperson im Leben des fiktiven Erzählers in Andreas Maiers Roman. Mit dem Umzug des dreijährigen Jungen aus dem Paradies in „Das Haus“ der Eltern beginnen die Abgründe des Lebens. Eine tiefe, eine dunkle, indes literarisch erhellende Seelenkunde (So, 16:30). Von einem trinkenden Vater, einer ihre Aggressionen an den Kindern auslassenden Mutter, von grausamen Klassenkameraden und autoritären Lehrern erzählt dunkel und tiefgründig Angelika Klüssendorf in „Das Mädchen“ (So, 17:00). Und zum Abschluss der „Revue der Neuerscheinungen“ liest Alissa Walser aus ihrer von ganz normalen Menschen im ganz normal wahnsinnigen Alltag handelnden Erzählung „Immer ich“. Scheinbar mit leichter Hand erzählt, entpuppt sich ihre Prosa als Meisterschaft der Lakonie (So, 18:00).
Und jetzt zur Lyrik: In dem jüngsten Gedichtband „Sommer vor den Mauern“ von Nora Bossong bewegt sich die Dichterin durch ein mythisches „Arkadien“, das religionsgeschichtlich aufgeladen ist. Es sind Gedichte, die sorgsam das Terrain katholischer Heilsgeschichte erkunden, wobei die Aura des Religiösen auf das hellwache säkulare Bewusstsein der Dichterin trifft (Sa, 15:00). Die Verbindung von multiplen technoiden Strukturen und Körperelementen, von physikalisch-biomechanischen Modi und traditionellen Natur- und Nähe-Metaphern gehört zu den Eigenheiten von Katharina Schultens’ Dichtkunst (Sa, 17:30). Die Traumpfade der Gedichte von Ulrike Almut Sandig führen auch in ihrem neuen Band „Dickicht“ wieder ins Ungewisse. Die junge Lyrikerin hat für die Topografierung ihrer Sehnsuchtsreisen einen ganz eigenen Ton gefunden, der zwischen Kinderlied, romantischer Märchenmelodie und zarter Fantastik changiert (So, 13:30). Nach fast fünfzehn Jahren planvoller Abwesenheit meldet sich Ulrich Zieger nun mit seinem Band „Aufwartungen im Gehäus“ zurück. Und man darf diesen Titel als Programm verstehen (So, 17:30).
Hajo Steinert / Michael Braun (Lyrik)
13:30 Uhr Ulrike Almut Sandig
Dickicht. Gedichte. Schöffling & Co. Frankfurt a. M., Feb 2011
anschließend Gespräch mit Michael Braun (Nebenpodium I)
14:00 Uhr Abbas Khider
Die Orangen des Präsidenten. Roman. Nautilus. Hamburg, Mrz 2011
anschließend Gespräch mit Verena Auffermann (Nebenpodium II)
14:30 Uhr Navid Kermani
Dein Name. Roman. Hanser. München, 29. Aug 2011
anschließend Gespräch mit Maike Albath (Nebenpodium I)
15:00 Uhr Michael Kumpfmüller
Die Herrlichkeit des Lebens. Roman. Kiepenheuer & Witsch. Köln, 18. Aug 2011
anschließend Gespräch mit Dirk Kruse (Nebenpodium II)
15:30 Uhr Michel Bergmann
Machloikes. Roman. Arche. Zürich/Hamburg, 5. Sep 2011
anschließend Gespräch mit Hajo Steinert (Nebenpodium I)
16:00 Uhr Antje Rávic Strubel
Sturz der Tage in die Nacht. Roman. S. Fischer. Frankfurt a. M., 12. Aug 2011
anschließend Gespräch mit Maike Albath (Nebenpodium II)
16:30 Uhr Andreas Maier
Das Haus. Roman. Suhrkamp. Berlin, 12. Okt 2011
anschließend Gespräch mit Verena Auffermann (Nebenpodium I)
17:00 Uhr Angelika Klüssendorf
Das Mädchen. Roman. Kiepenheuer & Witsch. Köln, 18. Aug 2011
anschließend Gespräch mit Florian Felix Weyh (Nebenpodium II)
17:30 Uhr Ulrich Zieger
Aufwartungen im Gehäus. Gedichte. Rugerup. Berlin/Hörby, Mai 2011
anschließend Gespräch mit Michael Braun (Nebenpodium I)
18:00 Uhr Alissa Walser
Immer ich. Erzählung. Piper. München, Apr 2011
anschließend Gespräch mit Maike Albath (Nebenpodium II)
Moderation Hauptpodium: Hajo Steinert und Maike Albath
Sonntag, 28. August, 13:30 bis 19:00 Uhr, Schlossgarten, Hauptpodium
Eintritt frei!