Veranstaltung
Autorenporträt: Friedrich Christian Delius
Selbstporträt mit Luftbrücke
Lesung und Gespräch mit Wilfried F. Schoeller
Seit mehr als vier Jahrzehnten schreibt er, in Berlin und Rom lebend, an einer einzigartigen deutschen Chronik vorwiegend aus Romanen und Erzählungen, genauer gesagt: an einer Erkundung unserer Gegenwart im Fokus der Beobachtung ihrer geschichtlichen Tatbestände. Früher übte er sich im „Handwerk des Zersetzens“ von öffentlicher Sprache; seit den Tagen Adenauers bis zum Kauderwelsch der Brüsseler Verwaltung ging er den „Verlockungen der Wörter“ nach. Er hat mit einer hochironischen Festschrift über die Verstrickungen der Siemens-Welt die Juristen des Konzerns herausgefordert und konnte mit einem milden Kompromiss gegen den übermächtigen Gegner bestehen. Er zeichnete die Lebensrouten eines chilenischen Emigranten in Berlin nach, umriss den Beginn der Studentenbewegung in Berlin, erforschte in drei Bänden erzählerisch die Katastrophen des Deutschen Herbstes, befasste sich mit einem sonderbaren DDR-Flüchtling, spürte den Schattenseiten der Wende nach – alles mit gleichbleibender, sorgsamer sprachlicher Umsicht, deren Energie und Spannkraft aus Skepsis herrühren.
In seinem Werk gibt es höchst eindringliche Momentaufnahmen, etwa des Tages von 1954, als die deutsche Nationalmannschaft Fußball-Weltmeister wurde, oder die Bilderfolge über seine Mutter als junge Frau. Er widmet sich Menschen in ihrer verlustnahen Daseinsimprovisation, hat sich mit einem Roman über Konrad Zuse dem scheiternden Erfinder des Computers verschrieben.
Ende Oktober erhält Friedrich Christian Delius in Darmstadt den Georg-Büchner-Preis verliehen. In der Begründung der Jury heißt es: „Als kritischer, findiger und erfindungsreicher Beobachter hat Delius in seinen Romanen und Erzählungen die Geschichte der deutschen Bewusstseinslagen im 20. Jahrhundert erzählt. Seine politisch hellwachen, ideologieresistenten und menschenfreundlichen Texte loten die historischen Tiefendimensionen der Gegenwart aus. Seiner souveränen Erzählkunst gelingt es, eine manchmal satirische Beobachtungsschärfe zu verbinden mit einer humanen Sensibilität, die seine Figuren oft decouvriert, aber nie denunziert. Studenten der Universität Florida verliehen diesem Nachfahren Seumes und Wolfgang Koeppens 1994 einen selbsterfundenen Preis: den ‚Award for Opening Minds’. Dieses Wort wäre eine brauchbare Begründung auch für die Verleihung des Georg-Büchner-Preises.“
In Erlangen zieht er eine Zwischenbilanz über sein Werk, über die Strahlkraft politischer Literatur, die Veränderungen deutscher Mentalität und über das Ideal des Gelingens.
Wilfried F. Schoeller
Samstag, 27. August, 19:00 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: von 5,– / erm. 3,50 bis 10,– / erm. 8,50 Euro