31. Erlanger Poetenfest — 25. bis 28. August 2011
Nebenpodium im Schlossgarten. Moritz Rinke im Gespräch mit Verena Auffermann – Foto: Erich Malter, 2006

Veranstaltung


Autorenporträt: Peter Kurzeck
Das ganze Leben – ein einziger langer Tag

Lesung und Gespräch mit Verena Auffermann

Du kannst nicht vergessen! Das ist eine Gabe und ein Fluch. Der Schriftsteller Peter Kurzeck schreibt seinem eigenen Leben hinterher. Umso mehr Bücher er verfasst, umso stärker ist er mit seiner Lebenszeit im Verzug. Peter Kurzeck arbeitet täglich gegen die vergehende Zeit, die keine Rücksicht auf ihn und auf sein tollkühnes, auf zwölf Bücher angelegtes Projekt „Das alte Jahrhundert“ nimmt. Mit dem 2011 erschienenen, 1.015 Seiten umfassenden Roman „Vorabend“ ist der fünfte Band dieses autobiografisch-poetischen Opus magnum beendet. Wir befinden uns Anfang der 80er-Jahre. Wenn sich spätere Generationen einmal fragen werden, wie es damals war, als aus einer Dorfbevölkerung eine Stadtbevölkerung wurde und aus Bauern und Handwerkern Fabrikarbeiter. Wer sich später einmal überlegen wird, wie die deutschen Dörfer und Städte nach dem Krieg aussahen, wie man die Kinder erzog, was man zu essen bekam, welche Musik man hörte, welche Bücher man las – bei Peter Kurzeck, dem Chronisten und unermüdlichen Beobachter wird man es nachlesen können. Man kann sein Werk jetzt schon eine Arche Noah des Erzählens nennen. Nicht das Sensationelle, nicht die politischen Umbrüche interessieren ihn. Sein Maßstab ist sein eigenes Leben, das mit der Geburt im Jahr 1943 in Böhmen und einer Flucht der Familie in den Westen begann. Kindheit und Jugend verlebte Peter Kurzeck in Staufenberg, einem Dorf, das in der Nähe von Gießen und Marburg hoch auf einem Hügel gelegen ist. Für das Kind Peter war Staufenberg die Aussichtsplattform auf die Welt. Es war ein armes, entbehrungsreiches Leben, das der Erzähler mit kleinen Wundern füllt, zum Beispiel einem grünen Kachelofen, einer „hohen Festung“ für das Kind, das davor sitzt. Oder – einem weiteren Wunder, einem Besuch in einem Kramladen mit einer „Rechenmaschine zu Leiern“.
Das ganze Leben, so empfindet es der Erzähler Peter Kurzeck, ist ein „einziger langer Tag“. Sein Leben als Schüler hatte mit 14 Jahren aufgehört, dann arbeitete der junge Mann bei den Amerikanern und entdeckte im Alter von 16 Jahren, dass man sich im Gießener Amerika-Haus Bücher ausleihen kann. Er sagte zu sich: „Nachts liest Du Dostojewski, Hamsun, Tucholsky und schreibst und malst und tagsüber gehst Du zur Arbeit.“ Eines Tages entschloss er sich, nicht mehr zur Arbeit zu gehen. Er gab sich selbst den Befehl: „Du schreibst jetzt.“ Und es begann. Er schrieb ohne Verben, ohne Adjektive, ohne jeden Schmuck, der ihm bis heute zuwider ist. Er arbeitet zehn bis fünfzehn Jahre nur „für sich“, gefesselt von der einen gewaltigen Idee, die „ganze Gegend zu erzählen“ und der Frage nachzugehen, wer wir sind „und was wir uns selbst bedeuten“.
Der „Vorabend“ beginnt mit dem Abschied der Liebe eines befreundeten Paares, das in Südfrankreich ein neues Leben beginnen wollte. Auch der Autor Peter Kurzeck lebt viele Monate des Jahres in Südfrankreich. „Vorabend“ ist auch eine Elegie an die Freundschaft: „Hätten längst, sollten bald!“
Der Autor Peter Kurzeck ist ein großartiger Erzähler des täglichen Lebens, in dessen Kopf immer „Gegenwart“ ist. Er redet, wie er schreibt und hat das dicke Buch „Vorabend“ im Frankfurter Literaturhaus vor Publikum mit wechselnden Schreibkräften über Wochen in mündlicher Rede in den Computer diktiert! „Einer der ungewöhnlichsten und wunderbarsten Erzähler“, sagt sein jüngerer Schriftstellerkollege Andreas Maier. Wir finden das unbedingt auch.
Verena Auffermann

Sonntag, 28. August, 20:00 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: von 5,– / erm. 3,50 bis 10,– / erm. 8,50 Euro

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