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Das aktuelle Podium: Hurra, wir lesen noch!
Aber wo, wie und was ...? Zum Wandel einer alten Kulturtechnik
Gesprächsrunde mit Thomas Böhm, Don Alphonso, Jens Jessen, Ursula März und Burkhard Spinnen, Moderation: Hajo Steinert

„Nur wer liest, versteht die Welt, kann mitreden und erreicht etwas im Leben!“ Über Generationen hinweg, tagein, tagaus, bis zum Überdruss wurden jungen Menschen derartige Weisheiten eingetrichtert. Lesen war Bildung. Nichtlesen war identisch mit Doofsein. Wenn von Lesen im Zusammenhang mit Bildung und Vorwärtskommen die immerzu sehr ernste Rede war, dachte man allein an das gute Buch in Vaters bildungsbürgerlich sortierter Bibliothek und an die seriöse überregionale Tageszeitung auf dem Schreibtisch. Schnee von gestern. Heute wird mehr gelesen als je zuvor. Mehr und überall. Die Stadt ist 24 Stunden am Tag vollgestellt mit Texten an Zäunen, Häuserwänden, Werbetafeln, Schildern, Fassaden. Die Bildschirme in den Zimmern zu Hause und in den Büros im Hochhaus glimmen ununterbrochen vor sich hin. „Nur wer ans Netz angeschlossen ist, versteht die Welt, kann mitreden und erreicht was im Leben!“, rufen die Jungen zurück. Und haben Recht. Gutenbergs Welt ist passé! Und wozu einen Roman lesen, da man ihn doch auch als Hörbuch bekommen kann? So kann man sich sogar beim Autofahren bilden, oder hat schon mal einer, die Hände am Steuerrad, einen zwischen Buchdeckeln aufragenden „Zauberberg“ in Papierform erklommen? Warum hundert Meter Brockhaus im Regal, wo es das Ganze doch auch online gibt? Hat schon mal jemand „Die Zeit“ auf einem Mittelplatz in der 16. Reihe im Flugzeug lesen können, ohne seinen Nachbarn mit dem Rascheln und Umblättern von Seiten eines schier gigantischen Ausmaßes zu nerven? Wie war das mit dem Verstehen der Welt, mit dem Mitreden und der Karriere? Wer sich in der Bibliothek vergräbt, immer nur den Geruch alter Schwarten inhaliert, wer seine Finger mit Druckerschwärze beschmutzt – der verpasst das Leben.
Hajo Steinert

Sonntag, 29. August, 18:30 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: 5,00 / erm. 3,50 Euro

 

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