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Porträt International: László Krasznahorkai
Zeit ist da, um sie außer Kraft zu setzen
Lesung und Gespräch mit Verena Auffermann

Unter den Autoren unserer Gegenwart ist er einer der geheimnisvollsten. Er ist ein Sprachverführer, wenn er schreibt, und ein Sprachverführer, wenn er spricht. Mit leiser Stimme und in einem wunderbaren ungarisch gefärbten Deutsch. In jedem seiner Bücher unternimmt László Krasznahorkai eine Expedition in ferne Länder, nach China oder nach Japan, in Klöster, in die Wüste, in Weltstädte wie New York und Peking. Alle Expeditionen haben das eine Ziel: Etwas zu entdecken, das Fremde, Ferne, etwas, das sich schwer beschreiben lässt. Zum Beispiel die Abgründe im menschlichen Zusammenleben oder ein meditatives Erlebnis. Dieser 1954 geborene Schriftsteller, der einmal versucht hat, in Budapest Jura zu studieren und dann doch, und das für immer, bei der Literatur zu Hause ist, hat das seltene Talent, den Leser in seine Welt zu entführen. Und zwar nicht irgendwie, sondern mit Leib und Seele, Herz und Hirn. Er tut das durch eindringliche, lange, verschlungene und melodische Sätze. Und durch seine umfangreiche und detailgenaue Bildung. Er kennt sich in der Kunstgeschichte ebenso gut aus wie in der Geschichte Japans und Chinas, in den Verließen der Natur und in den Verließen des menschlichen Daseins. Er ist ein studierter Mann, der nichts unüberlegt macht, der 100 Bücher liest, um eins zu schreiben, der sich in der japanischen Teezeremonie auskennt, in der japanischen Töpferkunst, wie im Leben der Menschen in der inneren Mongolei. László Krasznahorkai ist ein Forscher unter den Reisenden. Er studiert einen Nō-Tänzer, einen Schreiner, der eine Buddha-Statue restauriert, er beobachtet einen Museumswärter in Paris, einen Touristen auf der Akropolis und lässt sich faszinieren vom Alltag in einem japanischen Kloster. Er ist der forschende Schriftsteller, der die Magie der Dinge und der Handlungen in Sprache überführt. Einer Sprache, die einem Gesang gleicht. Das mag daran liegen, dass er mit dem Punkt sparsamer umgeht, als andere mit ihrem Geld. Vier Punkte auf zehn Seiten, das ist für seine Verhältnisse mehr als genug. In seinem jüngsten mit dem Berliner Brücke-Preis ausgezeichneten Buch, das den Titel „Seiobo auf Erden“ trägt, unternimmt der Erzähler 17 Expeditionen in Paläste, Tempel, Handwerkszimmer und Theatergarderoben in Kyoto, Paris Athen und Granada. Der Erzähler sucht immer nur das, was sich nicht einfach beantworten lässt. Es ist der herausragende Augenblick, der Moment, in dem der Betrachter merkt, dass der Reiher im ausgetrockneten Flussbett dem Betrachter verbietet, näher zu kommen. Es ist der Augenblick, in dem der Mann mit dem rosa Hemd erkennt, dass die Augen in dem 500 Jahre alten berühmten Renaissance-Gemälde ihn ansehen, ihn allein durchdringend und direkt.
Zeit ist für diesen sanften Melancholiker unter den gegenwärtigen Schriftstellern eine nichtige Größe. Zeit ist da, um sie außer Kraft zu setzen. Zeit wird gemessen an den Pfirsichbäumen, die im Garten der japanischen Göttin Seiobo nur alle 3.000 Jahre einmal blühen. Das Warten ist das Ereignis, nicht das Zählen der Stunden. Davon erzählen die Bücher des ungarischen Autors László Krasznahorkai, der lange in Berlin und in Kyoto gewohnt hat und jetzt, wenn er nicht auf Reisen ist, wieder bei Budapest lebt.
Verena Auffermann

Im Anschluss: Film „Werckmeister Harmonies“, HU/I/D/F 2000, Regie: Béla Tarr, Drehbuch: László Krasznahorkai und Béla Tarr, 145 min, Ungarisch mit englischen Untertiteln


Sonntag, 29. August, 20:00 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: von 5,00 / erm. 3,50 bis 10,00 / erm. 8,50 Euro

 

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