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Autorenporträt: Raoul Schrott
Lesung und Gespräch mit Alf Mentzer

Aufklärer, Dichter, Universalgelehrter

Schon um seine Geburt ranken sich Legenden: Offiziell 1964 in Landeck in Tirol geboren, nennen andere Quellen São Paolo in Brasilien als Geburtsort, nach eigenen Angaben wurde er während einer Schiffsreise nach Brasilien mitten auf dem Atlantik geboren. Verbrieft hingegen sind die weiteren Stationen seiner Biografie: aufgewachsen in Tunis, Studium in Innsbruck, Norwich und an der Sorbonne in Paris, Sekretär des französischen Surrealisten Philippe Soupault, Tätigkeiten an der TU und der FU Berlin, in Wien und Neapel, Habilitation an der Universität Innsbruck über „Poetische Strukturen von der griechischen Antike bis zum Dadaismus“. Sein Name, wird behauptet, sei ein geniales Pseudonym in Verehrung Raoul Hausmanns. Die kolportierte Geschichte seiner Geburt und seines Wohnsitzes im ehemaligen Haus des Surrealisten Max Ernst wird in denselben Kontext gestellt. „Genie oder Scharlatan?“ titelte schon 2003 die Zeitschrift „Literaturen“. Diese Etiketten gelten einem Autor, der es eigentlich vorzieht, hinter seinen Texten zurückzutreten, und der dem Literaturbetrieb eher distanziert gegenübersteht. Angesichts eines attraktiven jungen Mannes, der fließend Okzitanisch spricht und das Gälische des 8. Jahrhunderts beherrscht, der ein kosmopolitisches Leben führt und sich intensiv mit den Grundlagen und Ausformungen der Poesie, mit den kleinen und an den Rand gedrängten Sprachen befasst hat, der bereits mit Anfang 30 habilitieren und mit Mitte 30 das Gilgamesh-Epos neu übersetzen konnte und der heute, Mitte 40, bereits mit mehr als 20 Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, ist eine gewisse Hilflosigkeit des Feuilletons nachvollziehbar.
Raoul Schrotts umfangreiches literarisches Werk umfasst Lyrik – zuletzt erschien 2004 der Gedichtband „Weißbuch“ –, Romane – 2003 erschien das 600 Seiten umfassende Opus „Tristan da Cunha“ –, Übersetzungen, Essays und Theaterstücke. Und Raoul Schrott ist ein wichtiger Herausgeber von Anthologien fremdsprachiger Autoren. Auf ausgedehnten Reisen sammelt Raoul Schrott jene Erfahrungen und Eindrücke, die er speichernd und bearbeitend in neue Zusammenhänge stellt. In der vitalen Aneignung unbekannter Welten sucht er nach kulturellen Spuren von weiter reichender, das rein Subjektive überformender Kraft. Akribisch und doch spielerisch leicht entwirft er Topografien, die erzählend äußere und innere Befindlichkeiten spiegeln. Literatur ist für Schrott aber auch eine „erotische Angelegenheit“: Geheimnisse zu lüften, Unbekanntes zu entdecken, Überraschungen zu erleben und sich von Musikalität und Bilderfülle verführen zu lassen.
Sein unbändiger Forscherdrang war es auch, der Raoul Schrott im vergangenen Jahr zu seinen Thesen über Homer und die historische Lage Trojas veranlasste. Ausgangspunkt für seine Recherchen war eigentlich seine Neuübertragung der Ilias, eine Auftragsarbeit für den Hessischen Rundfunk und den Deutschlandfunk. „Nach zwei Jahren täglichem Dienst an der Lanze eine erste Fassung einmal beendet und der Schwerthiebe des Lektorats harrend, fehlte nur noch ein Vorwort, um wieder meinen eigenen Streitwagen besteigen zu können. Das sollte so kurz wie gründlich ausfallen – worauf ich mich an die Recherchen dazu machte: und ein geschlagenes Jahr später immer noch am Schreibtisch saß.“ Aus diesem Vorwort wurde das Buch „Homers Heimat – Der Kampf um Troia und seine realen Hintergründe“, in dem Raoul Schrott auf rund 600 Seiten, mit Hilfe von fast 1.500 Fußnoten, nachzuweisen versucht, dass Homer im assyrischen Kulturraum gelebt hat und dass Troia eigentlich im heutigen Karatepe in der historischen Kulturlandschaft Kilikien, heute unweit der türkisch-syrischen Grenze, zu suchen sei, rund 1.000 Kilometer südöstlich von Schliemanns Ausgrabungen. Die geradezu wütenden Reaktionen von weiten Teilen der Fachwelt stellten die ungeheure Leistung, mit der Ilias ein weiteres Grundlagenwerk der Kulturgeschichte in eine moderne Sprache übertragen zu haben, fast in den Hintergrund.
Raoul Schrott ist nicht nur einer der vielseitigsten, schillerndsten und sprachmächtigsten Autoren seiner Generation, sondern auch ein charismatischer Erzähler und brillanter Vorleser, wovon Sie sich an diesem Abend überzeugen können.


Freitag, 28. August, 19:00 Uhr, Markgrafentheater

 

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