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Abgründige Seelenlandschaften – Die Nacht des Kriminalromans
Lesungen und Gespräche mit Ingrid Noll, Heinrich Steinfest und Jan Costin Wagner, Moderation: Herbert Heinzelmann, im Anschluss: „Kalt ist der Abendhauch“, Kinofilm, Regie: Rainer Kaufmann, D 2000, 124 min

Nein, die deutschsprachige Kriminalliteratur hat längst keinen Nachholbedarf mehr. Es gibt höchstens noch Feuilletonisten, die solches behaupten. Und die sind in den 1970er-Jahren stehen geblieben und fühlen sich der sogenannten E-Literatur verpflichtet. Dabei hat die Kriminalliteratur jahrelang das geleistet, was viele E-Autoren mit ihren bevorzugten Themen von Privatheit, Verspieltheit und Seelenerforschung vernachlässigt haben: Sie hat sich mit den Zuständen der Gesellschaft auseinandergesetzt. In dieser Auseinandersetzung hat sie große Vielfalt entwickelt, hat starke Schreiber hervorgebracht und neue Leserschichten erschlossen. Und jetzt kümmert sie sich auch wieder um die Seelenlage ihrer Figuren und ergründet mit Entwürfen aufgeklärten Erschauerns die Wechselwirkungen von psychischer Disposition und sozialer Verfassung, die das Verbrechen erzeugen. Sogar die Goethe-Institute nehmen sie in ihrem Internet-Auftritt als Ausdruck deutscher Sprachkultur inzwischen ernst. Der deutsche Sprachraum als Ort von Tat, Ermittlung und Entlarvung hat bunte literarische Facetten entfaltet. Ab und zu stellt das Erlanger Poetenfest einige davon zur Diskussion. Diesmal ist der Regenbogen besonders farbenreich gelungen. Er strahlt von Ingrid Noll, der Grande Dame der weiblichen Täterperspektive, über Heinrich Steinfest, den zutiefst schwarzen Wortbildhauer menschlicher Abgründigkeiten aus Österreich (inzwischen Stuttgart), bis zu dem Erfolgskometen Jan Costin Wagner, dem man nachsagt, er würde in Hessen die besten Kriminalromane aus Skandinavien schreiben. Allen drei Autoren ist gemeinsam, dass sie heftig an den Zäunen rütteln, die der literarische Diskurs noch immer zwischen Genreliteratur und Hochliteratur zu erhalten versucht. Mit der Verfilmung des Romans „Kalt ist der Abendhauch“ von Ingrid Noll klingt die Nacht aus.
Herbert Heinzelmann


Samstag, 29. August, 20:00 Uhr, Schloss, Senatssaal (1. OG)

 

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