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Autorenporträt: Brigitte Kronauer
Lesung und Gespräch mit Maike Albath

Gewölbe aus Sprache und Welt

Brigitte Kronauer ist eine Liebhaberin des Zweideutigen. Sie verfährt mit der Wirklichkeit wie eine erkenntnishungrige Forscherin und zerlegt sie in eine Fülle von Beobachtungen, Wahrnehmungen, Ereignissen und Gefühlen, die immer mehr als zwei Seiten haben. Alles ist von Ambivalenz durchdrungen und genau darin liegt der Reichtum der Welt verborgen. Die 1940 geborene Schriftstellerin veröffentlichte fast 20 Jahre lang in Untergrundzeitschriften und kleinen Verlagen der Alternativszene wie „Nachtcafé“, „Bert Schlender“ und „Dreibein“ und bildete abseits des literarischen Betriebes ganz eigene Erzählformen heraus, auf denen ihr schillerndes Universum gründet. Als die ehemalige Deutschlehrerin mit „Frau Mühlenbeck im Gehäus“ 1980 dann an die Öffentlichkeit trat, war sie in ihrer Schreibweise nicht mehr zu beirren. Nicht der deutsche Nachkriegsrealismus, sondern die französische Literatur mit ihrem „nouveau roman“ und den radikalen Versuchen, traditionelle Darstellungsmuster zu überwinden, haben sie ästhetisch geprägt. Nach „Rita Münster“ (1983) schafft Brigitte Kronauer 1986 mit ihrem dritten Roman „Berittener Bogenschütze“ den großen Durchbruch. Ein Liebesgeknäuel der besonderen Art steht im Mittelpunkt, dargeboten aus der Perspektive eines Beschreibungsmanikers. Wieder begibt sich die Autorin auf die Suche nach inneren Wirklichkeiten, die in einem Reibungsverhältnis zur äußeren Realität stehen. Das hat durchaus ironische Seiten. Zum Beispiel wenn der Held Matthias Roth, ein allmählich ins schmierige Junggesellentum gleitender Privatdozent, der noch möbliert wohnt, sich in Betrachtungen über seine verschwommen wirkende Wirtin verströmt und sich ihren Klatschgeschichten und deftigen Mittagessen mit einer Mischung aus Ekel und Sadismus unterwirft. Aber er ist gleichzeitig ein Spezialist für Joseph Conrad und scheint dessen Figuren als Maßstab für alles zu benutzen, was ihm widerfährt. Überhaupt ist es in Kronauers Romanen schwierig, zwischen den Wirklichkeiten erster, zweiter oder gar dritter Ordnung zu unterscheiden. Noch komplizierter wird es, wenn die Liebe ins Spiel kommt: Ob in „Teufelsbrück“ (2000) oder in „Verlangen nach Musik und Gebirge“ (2004), immer wieder stolpern und straucheln ihre Figuren, erliegen erotischen Anziehungskräften, um im nächsten Moment harsch zu ernüchtern. In ihrem jüngsten Werk „Zwei schwarze Jäger“ (2009) steht eine Wahrnehmungsexpertin und Sprachsüchtige im Mittelpunkt: die Schriftstellerin Rita Palka. Lauter Geschichten durchkreuzen fortwährend ihr Bewusstsein, und Rita Palka klopft jeden Satz auf seine Brauchbarkeit hin ab. Glaziologen, Weltreisende, Steuerberater, Lektoren, Zahnärzte, verflossene Geliebte, aktuelle Geliebte und eine Mörderin treiben ihr Unwesen. Oder sollte es sich nur um Wucherungen der Wirklichkeit handeln? Eine kniffelige Frage. Von Handlungen im herkömmlichen Sinne kann bei Kronauer ohnehin nicht die Rede sein – dafür erspürt man die Wirklichkeit in ihrer ganzen Spannbreite und gerät in einen Bilderstrudel der betörendsten Sorte hinein. Brigitte Kronauers Romane sind Gewölbe aus Sprache und Welt, ein Spiel mit ihrem immerwährenden fantastischen Potenzial.
Maike Albath


Samstag, 29. August, 20:00 Uhr, Markgrafentheater

 

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